Vergeltung

Übung für die aufstrebenden jungen Profiler ergeben, mit denen Tony in einer Projektgruppe des Innenministeriums arbeitete. Und als die ganze Sache angelaufen war, hatte er keine Zeit mehr gehabt, sich hinzusetzen und Vance’ Delikte in dieser Form zu analysieren.
    Während Tony überlegte, was er über Vance wusste, suchte er sich, um Zeit zu sparen, eines seiner früheren Profile auf Carols Laptop und kopierte seinen üblichen Einleitungsabschnitt.
Das folgende Täterprofil ist nur zur Orientierung gedacht und sollte nicht als präzises Porträt betrachtet werden. Es ist unwahrscheinlich, dass der Täter in allen Einzelheiten dem Profil entspricht, obwohl ich eine hohe Übereinstimmung zwischen den unten aufgeführten Charakteristika und der Realität erwarte. Alle Aussagen dieser Profilanalyse sind Wahrscheinlichkeiten und Möglichkeiten, keine bewiesenen Tatsachen.
Ein Serienmörder hinterlässt Signale und Hinweise, wenn er seine Taten begeht. Bewusst oder unbewusst ist alles, was er tut, als Teil eines Musters angelegt. Kann man die zugrunde liegenden Muster aufdecken, entschlüsselt man die Logik des Mörders. Uns mag sie nicht logisch erscheinen, aber für ihn ist sie ausschlaggebend. Aufgrund seiner anormalen Denkweise kann er nicht durch reguläre Ermittlungstechniken dingfest gemacht werden. Da er einzigartig ist, müssen es auch die Mittel sein, mit denen man ihn aufspürt, verhört und seine Taten rekonstruiert.
    Es passte nicht so ganz. Denn Lambert wollte eine Risikoanalyse, kein Profil, das auf den Verbrechen basierte. Den zweiten Abschnitt konnte er beibehalten, fand er. Aber den ersten würde er ändern müssen. Er legte eine neue Datei an und begann.
Die folgende Risikoanalyse stützt sich auf sehr eingeschränkte persönliche Kenntnis des Menschen Jacko Vance. Ich sah Vance mehrmals in der Öffentlichkeit und befragte ihn zwei Mal. Einmal in seiner Wohnung, wobei ihm damals klar gewesen sein mag, dass gegen ihn ermittelt wurde. Und ein zweites Mal, nachdem er wegen Mordverdachts verhaftet worden war. Aber ich bin mit den Einzelheiten seiner Delikte vertraut und kenne seinen Werdegang ausreichend gut, um sein Verhalten nach der Flucht beurteilen zu können.
    »Was geht in deinem Kopf vor, Jacko?«, fragte Tony leise, lehnte sich auf dem Sessel zurück und verschränkte die Finger hinter dem Kopf. »Warum dieses Vorgehen? Und warum jetzt?«
    Ein plötzliches energisches Klopfen an der Tür unterbrach sein Selbstgespräch. Paula steckte mit resolutem Ausdruck den Kopf zur Tür herein. »Hast du mal kurz Zeit?« Bevor er antworten konnte, war sie schon hereingeschlüpft und schloss die Tür hinter sich.
    »Was wäre, wenn ich nein sagen würde?«
    Paula lächelte müde. »Dann würde ich sagen: ›Pech gehabt.‹«
    »Das hab ich mir gedacht.« Tony nahm seine Lesebrille ab und betrachtete Paula. Sie hatten gemeinsame Erlebnisse hinter sich, ein buntes, kompliziertes Netz von Verbindungen, das sich im Lauf der Jahre gebildet hatte und zu einer Art Freundschaft geworden war. Er hatte sie nach dem Tod einer Kollegin, mit der sie auch befreundet gewesen war, durch das Labyrinth der Trauer gelotst. Paula hatte in der Vergangenheit maßgeblich sein Verhalten beeinflusst. Er hatte sie dazu gebracht, die Vorschriften zu verletzen, und dann in der Schusslinie gestanden, als Carol sie aus dem Blick verloren hatte. Respekt war der Grundpfeiler ihrer Beziehung. Gut so, dachte Tony, sonst wäre es für ihn vielleicht schwierig gewesen, Paula das Glück nicht zu neiden, das sie mit Dr. Elinor Blessing gefunden hatte, ein Glück, zu dem er wohl nicht fähig war. »Ich nehme an, du bist nicht zum Plaudern gekommen, oder?«
    »Darf ich fragen, woran du arbeitest?« Paula war offensichtlich nicht in der Stimmung für Smalltalk. Carol wurde also bald zurückerwartet.
    »Ich schreibe eine Risikoanalyse fürs Innenministerium. Ich weiß nicht, ob Carol euch davon erzählt hat, aber über kurz oder lang werden es sowieso alle wissen. Manche Dinge kann man nicht geheim halten. Jacko Vance ist heute früh aus Oakworth abgehauen. Weil ich damals mit seiner Verhaftung zu tun hatte, hat man mich beauftragt, in meine Kristallkugel zu gucken und vorauszusagen, wohin er gehen und was er tun wird.« Tonys sarkastischer Blick passte zu seinem Tonfall.
    »Du arbeitest also nicht an unserem Fall?«
    »Du weißt doch, wie es ist, Paula. Blake will mich nicht bezahlen, und DCI Jordan weigert sich, mich ohne Bezahlung arbeiten zu