Vergessene Stimmen
Bosch, Rider und ihrer Mutter in ein Zimmer, das vom Büro des Schulleiters abging und in dem ein runder Tisch mit sechs Stühlen stand.
Nachdem alle Platz genommen hatten, nickte Bosch Rider zu, worauf sie übernahm. Bosch hielt es für besser, wenn eine Frau das Gespräch mit dem Mädchen führte, und Rider verstand das, ohne dass darüber gesprochen werden musste. Sie erklärte Kaitlyn, dass es um ein Telefongespräch ging, das am Tag zuvor um 13.40 Uhr mit ihrem Handy geführt worden war. Das Mädchen fiel ihr sofort ins Wort.
»Das ist völlig unmöglich.«
»Wieso?«, fragte Rider. »Wir haben den Anschluss, der damit angerufen wurde, elektronisch überwacht. Der Anruf kam von Ihrem Handy.«
»Ich war aber gestern in der Schule. Und während der Schulzeit dürfen wir keine Handys benutzen.«
Das Mädchen wirkte nervös. Bosch war klar, dass sie log, aber er konnte sich nicht vorstellen, aus welchem Grund. Er fragte sich, ob sie vielleicht log, weil ihre Mutter dabei war.
»Wo ist Ihr Handy jetzt gerade?«, fragte Rider.
»In meinem Rucksack in meinem Schließfach. Und es ist ausgestellt.«
»War es da auch gestern um dreizehn Uhr vierzig?«
»Mhm-hmh.«
Sie wandte den Blick von Rider ab, als sie log. Sie war leicht zu durchschauen, und Bosch merkte, dass Rider den gleichen Eindruck hatte wie er.
»Kaitlyn, diese Ermittlungen haben einen sehr ernsten Hintergrund«, sagte Rider in besänftigendem Ton. »Wenn Sie uns belügen, könnten Sie eine Menge Ärger kriegen.«
»Kaitlyn, sag die Wahrheit!«, sagte Amanda Sobek mit Nachdruck.
»Nur keine Aufregung, Mrs. Sobek«, sagte Rider. »Kaitlyn, wenn ein Anschluss elektronisch überwacht wird, nennt man das ein Pen Register. Und diese Register sind hundertprozentig zuverlässig. Ihr Handy wurde für diesen Anruf benutzt. Daran besteht überhaupt kein Zweifel. Ist es also möglich, dass sich gestern jemand Zugang zu Ihrem Schließfach verschafft und mit Ihrem Handy telefoniert hat?«
Sie zuckte mit den Achseln.
»Möglich ist alles, denke ich.«
»Okay, wer könnte so etwas getan haben?«
»Das weiß ich doch nicht. Sie sind diejenige, die das behauptet.«
Bosch räusperte sich, und das lenkte die Aufmerksamkeit des Mädchens auf ihn. Er sah sie streng an und sagte: »Ich glaube, wir sollten besser in die Stadt fahren. Vielleicht ist das hier nicht der richtige Ort für eine Vernehmung.«
Er schob seinen Stuhl zurück und machte sich daran, aufzustehen.
»Kaitlyn, was geht hier vor sich?«, stieß Amanda Sobek aufgeregt hervor. »Das ist hier kein Spaß. Wen hast du angerufen?«
»Niemanden, okay?«
»Nein, das ist nicht okay.«
»Also schön, ich hatte das Handy nicht. Es wurde mir abgenommen.«
Bosch setzte sich, und es übernahm wieder Rider.
»Wer hat Ihnen das Handy abgenommen?«, fragte sie.
»Mrs. Sable«, sagte das Mädchen.
»Warum?«
»Weil wir es nach dem Läuten in der Schule nicht mehr benutzen dürfen. Aber gestern kam meine beste Freundin Rita nicht in die Schule. Deshalb habe ich versucht, ihr eine SMS zu schicken, um zu erfahren, was mit ihr los ist, und dabei hat mich Mrs. Sable erwischt.«
»Und Ihnen das Handy abgenommen?«
»Ja.«
Bosch dachte fieberhaft nach, wie Bailey Koster Sable in das Schema des Mordes an Rebecca Lost passen könnte. Eines ging auf gar keinen Fall. Die 16-jährige Bailey Koster konnte unmöglich den schlaffen Körper ihrer Freundin den Hügel hinter dem Haus hinaufgetragen haben.
»Warum wollten Sie uns das erst nicht erzählen?«, fragte Rider das Mädchen.
»Weil ich nicht wollte, dass sie mitkriegt, dass ich Ärger in der Schule hatte.« Dabei zeigte das Mädchen mit dem Kinn auf seine Mutter.
»Kaitlyn, die Polizei belügt man nicht«, schoss A manda Sobek zurück. »Es interessiert mich nicht …«
»Mrs. Sobek, das können Sie später mit Ihrer Tochter regeln«, sagte Bosch. »Lassen Sie uns weitermachen.«
»Wann haben Sie das Handy zurückbekommen, Kaitlyn?«, fragte Rider.
»Als ich nach Hause fuhr.«
»Mrs. Sable hatte Ihr Handy also den ganzen Tag?«
»Ja. Das heißt, nein. Nicht den ganzen Tag.«
»Und wer hatte es dann?«
»Keine Ahnung. Wenn sie einem das Handy abnehmen, muss man es nach dem Unterricht immer im Büro des Direktors abholen. Das habe ich gemacht. Mr. Stoddard hat es mir zurückgegeben.«
Gordon Stoddard. Auf einmal begann sich alles ineinander zu fügen. Bosch war in den Wellentunnel eingefahren, und der Fall mit all seinen Einzelheiten wirbelte um ihn
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