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Vergessene Stimmen

Titel: Vergessene Stimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Connelly
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dahinter führte. Als Bosch dieses Ambiente auf sich einwirken ließ, fiel ihm ein, dass er damals nicht nur wegen der Zigaretten hierher gekommen war, sondern auch um sich ein wenig zu regenerieren. In die Union Station zu kommen war fast so, als ginge man in eine Kirche, eine Kathedrale, in der die anmutigen Linien von Design und Funktion und Bürgerstolz mühelos ineinander übergingen. Die Stimmen der Reisenden stiegen in die luftigen Höhen des großen Wartesaals empor und vereinten sich zu einem raunenden Chor.
    »Ich finde diesen Bahnhof absolut einmalig«, sagte Rider. »Hast du mal den Film Blade Runner gesehen?«
    Bosch nickte. Er hatte ihn gesehen.
    »Das hier war doch die Polizeistation, oder?«, fragte er.
    »Ja.«
    »Hast du mal Gefährliche Beichte gesehen?«, fragte darauf Bosch.
    »Nein. Ist er gut?«
    »Ja, solltest du dir unbedingt ansehen. Eine weitere Variation des Themas Schwarze Dahlie und Verschwörungen beim LAPD.«
    Rider stöhnte theatralisch. »Danke für den Tipp, aber ich glaube, das brauche ich im Moment nicht.«
    Sie kauften sich bei Union Bagel zwei Kaffee und gingen damit in den Wartesaal, wo sich die braunen Ledersitze aneinander reihten wie luxuriöse Kirchenbänke. Bosch schaute nach oben, wie er das jedes Mal unwillkürlich tat. Über ihnen, in zwölf Meter Höhe, hingen in zwei Reihen sechs riesige Leuchter. Auch Rider schaute nach oben.
    Dann deutete Bosch auf zwei nebeneinander liegende freie Plätze in der Nähe des Zeitungsstands. Sie ließen sich auf das weich gepolsterte Leder niedersinken und stellten ihre Kaffeebecher auf die breiten hölzernen Armlehnen.
    »Bist du so weit?«, fragte Rider. »Können wir jetzt darüber sprechen?«
    »Wenn du so weit bist«, erwiderte er. »Was war denn in der Akte, die du im Spezialarchiv gesehen hast? Was war so bedrückend?«
    »Zum einen ist Mackey aufgeführt.«
    »Als Verdächtiger im Lost-Fall?«
    »Nein, die Akte hat nichts mit Lost zu tun. Er war nicht mal ein Punkt auf dem Radarschirm. Es geht darin um ein Ermittlungsverfahren, das zum Abschluss gebracht wurde, lang bevor Rebecca Lost überhaupt schwanger war, geschweige denn mitten in der Nacht aus ihrem Bett entführt wurde.«
    »Aha. Und was hat das Ganze dann mit uns zu tun?«
    »Möglicherweise gar nichts, möglicherweise aber auch alles. Erinnerst du dich an den Kerl, mit dem Mackey zusammenwohnt, William Burkhart?«
    »Ja.«
    »Von ihm ist auch die Rede. Nur war er damals besser als Billy Blitzkrieg bekannt. Das war sein Spitzname in dieser Gang, den Eights.«
    »Aha.«
    »Im März 1988 wanderte Billy Blitzkrieg wegen mutwilliger Beschädigung einer Synagoge in North Hollywood ein Jahr in den Knast. Sachbeschädigung, Wandschmierereien, Defäkation, alles, was dazugehört.«
    »Das Hassverbrechen. War er der Einzige, den sie dafür eingelocht haben?«
    Sie nickte.
    »Sie fanden auf einer Spraydose, die sie in der Nähe der Synagoge in einem Gullyrost sichergestellt hatten, einen Fingerabdruck. Deswegen musste er dran glauben. Er hat sich auf einen Deal mit ihnen eingelassen, weil ihm klar war, dass sie sonst ein Exempel an ihm statuieren würden.«
    Bosch nickte. Um ihren Redefluss nicht zu unterbrechen, hielt er sich mit Bemerkungen zurück.
    »In den Protokollen und in der Presse wurde. Burkhart – oder Blitzkrieg oder wie du ihn sonst nennen willst – als Anführer der Eights bezeichnet. Sie sagten, er hätte 1988 zu einem Jahr rassischer und ethnischer Unruhen zu Ehren Adolf Hitlers ausgerufen. Du kennst ja diesen ganzen Scheiß. Heiliger Krieg der Rassen, Rache der weißen Unterschicht und dieser ganze Kram. Sie liefen alle in Trikots der Minnesota Vikings rum – die Wikinger waren anscheinend eine reine Rasse. Und alle trugen die Nummer achtundachtzig.«
    »Langsam beginne ich, mir ein Bild zu machen.«
    »Jedenfalls hatten sie einiges gegen Burkhart vorliegen. Wegen der Synagoge hatten sie ihn eindeutig am Wickel, und außerdem stieg ihm das FBI wegen einer Bürgerrechtsklage gewaltig auf die Zehen. Die Serie der Straftaten ging gleich mit Jahresbeginn los. Die Eights läuteten das neue Jahr ein, indem sie im Vorgarten einer schwarzen Familie in Chatsworth ein brennendes Kreuz aufstellten. Dem folgten weitere brennende Kreuze, Drohanrufe, Bombendrohungen und dergleichen mehr. Der Einbruch in der Synagoge. In Encino zertrümmerten sie eine jüdische Kindertagesstätte. Das war alles Anfang Januar. Sie fingen auch an, mexikanische Arbeiter einfach von der Straße

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