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Vergessene Welt

Vergessene Welt

Titel: Vergessene Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Crichton
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weiter. Knapp unterhalb eines Grats stieß sie auf einen
Wildwechsel, einen breiten, schlammigen Pfad. Auf dem Pfad kam sie leichter
vorwärts, und nach etwa 15 Minuten hörte sie irgendwo vor sich aufgeregtes Jaulen.
Es erinnerte sie an Hunde, und sie bewegte sich vorsichtiger.
    Augenblicke
später drang aus verschiedenen Richtungen gleichzeitig Krachen aus dem Unterholz,
und plötzlich schoß ein gut einen Meter hohes, dunkelgrünes, eidechsenähnliches
Tier mit verblüffender Geschwindigkeit aus dem Laubwerk, kreischte und sprang
über sie hinweg. Sie duckte sich instinktiv und hatte kaum Zeit, sich von dem
Schreck zu erholen, als schon ein zweites Tier auftauchte und an ihr vorbeiraste.
Augenblicke später rannte eine ganze Herde verängstigt jaulender Tiere an allen
Seiten an ihr vorbei, und plötzlich stieß eins gegen sie und warf sie zu Boden.
Sie fiel in den Schlamm, während noch mehr Tiere an ihr vorbeiliefen und sie
übersprangen.
    Einen guten
Meter vor sich sah sie am Pfadrand einen Baum mit tiefhängenden Ästen.
Instinktiv sprang sie auf, packte einen Ast und schwang sich hinauf. Kaum war
sie in Sicherheit, rannte ein neuer Dinosaurier, mit scharfen Krallen an den
Füßen, über den schlammigen Pfad und jagte den fliehenden grünen Wesen nach.
Sie sah einen dunklen Körper, etwa 1,80 groß, mit rötlichen Streifen wie ein
Tiger. Gleich darauftauchte ein zweites gestreiftes Tier auf, dann ein drittes
– ein Rudel Raubtiere, das zischend und knurrend die grünen Dinosaurier
verfolgte.
    Wie sie es sich
in den Jahren in der Savanne angewöhnt hatte, zählte sie auch jetzt ganz automatisch
die Tiere, die unter ihr vorbeistürzten. Ihrer Zählung nach waren es zehn
gestreifte Raubtiere, und das stachelte sofort ihre Neugier an. Das ergibt doch
keinen Sinn, dachte sie. Kaum war das letzte Raubtier verschwunden, sprang sie
wieder auf die Erde und eilte ihnen nach. Zwar schoß es ihr durch den Kopf, daß
das vielleicht töricht war, aber ihre Neugier war stärker.
    Sie folgte den
Tiger-Dinos einen Hügel hoch, aber noch bevor sie die Kuppe erreicht hatte, erkannte
sie an dem Fauchen und Knurren, daß sie bereits ein Tier gerissen hatten. Auf
der Kuppe konnte sie dann auf die Räuber und ihre Beute hinabsehen.
    Doch so etwas
hatte sie in Afrika noch nicht gesehen. Auf der Seronera-Ebene hatte eine Beutestelle
ihre eigene Organisation, die durchaus vorhersagbar und in gewisser Weise fast
würdevoll war. Die größten Raubtiere, Löwen oder Hyänen, waren dem Kadaver am
nächsten und fraßen zusammen mit ihren Jungen. Etwas weiter entfernt warteten
die Geier und Marabus, bis sie an der Reihe waren, und noch weiter draußen
kreisten wachsam die Schakale und andere kleine Aasfresser. Waren die großen
Raubtiere fertig, näherten sich die kleineren der Beute. Verschiedene Tiere
fraßen verschiedene Teile des Kadavers: die Hyänen und Geier knackten die Knochen,
die Schakale nagten das Gerippe ab. Das lief bei jeder Beute nach demselben Muster
ab, und so gab es kaum Zank oder Streit um Nahrung.
    Aber was sie
hier sah, war das reinste Inferno – eine Freßorgie. Das getötete Tier war
völlig bedeckt von gestreiften Raubtieren, die hektisch Fleischstücke herausrissen
und immer wieder innehielten, um sich gegenseitig anzufauchen oder untereinander
zu kämpfen. Die Kämpfe waren von einer unverhüllten Bösartigkeit – ein Raubtier
biß seinen Nachbarn und fügte ihm eine tiefe Flankenwunde zu. Sofort schnappten
auch mehrere andere nach demselben Tier, das schwer verletzt, zischend und
blutend davonhumpelte. Doch kaum hatte es die Peripherie des Freßplatzes
erreicht, rächte es sich, indem es einem anderen Tier in den Schwanz biß und
ihm ebenfalls eine ernste Wunde beibrachte.
    Ein Jungtier,
nur etwa halb so groß wie die anderen, drängte immer wieder nach vorne und
versuchte, ebenfalls einen Teil des Kadavers abzubekommen, aber die Erwachsenen
machten ihm keinen Platz. Statt dessen fauchten sie es wütend an und schnappten
nach ihm. Das Jungtier mußte immer flink zurückspringen, um den rasiermesserscharfen
Fängen der Erwachsenen zu entkommen. Neugeborene oder ganz junge Tiere sah
Harding überhaupt keine. Das war eine Gesellschaft bösartiger Erwachsener.
    Während sie die
großen Raubtiere beobachtete, deren Köpfe und Körper nun über und über blutverschmiert
waren, bemerkte sie das Gewirr von verheilten Narben auf ihren Flanken und Hälsen.
Es waren offensichtlich schnelle, intelligente Tiere, die jedoch

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