Vergiss das mit dem Prinzen: Roman (German Edition)
sich hartnäckige Schneestreifen, doch die Felder zu beiden Seiten der Gleise wirkten im schwachen morgendlichen Sonnenlicht frisch und grün. Die Zweige, die sich vor dem Himmel noch kahl abzeichneten, wurden bereits von den Knospen neuer Blätter belebt. Durch die Hecken schimmerten hellgelbe Narzissen.
Während der Zug nach Norden fuhr, sah ich junge Lämmer auf den Wiesen, die sich an ihre Mütter kuschelten. Endlos lange starrte ich aus dem Fenster, in Tagträume versunken, und dachte an den letzten Frühling. Damals hatten Martin und ich den Umzug in unser neues Heim vorbereitet. Und jetzt schien ein langer, langer Winter hinter mir zu liegen.
Martha hatte eine Platzkarte für die erste Klasse gekauft, was ich seltsam extravagant fand. An diesem frühen Morgen war der Waggon fast leer. Nur ein paar Geschäftsmänner genossen ein reichhaltiges englisches Frühstück. Ich hatte überhaupt keine Lust, mit meiner Arbeit zu beginnen. Aber nachdem ich in Stockpott umgestiegen war, bestellte ich eine Tasse Earl Grey, um mein Gehirn aufzuwecken, und nahm Marthas Dossier aus meiner Tasche.
Leider bot es nicht mal im Ansatz die sachliche Effizienz und Übersichtlichkeit einer PowerPoint-Präsentation. Es wirkte, als hätte Martha den Inhalt eines Papiercontainers in einen braunen Umschlag gestopft: Ihr »Dossier« war ein Chaos aus Zeitungsausschnitten, Post-its und herausgerissenen Notizbuchseiten. Zuoberst in der Mappe lag ein Papierstapel, der von einem stark gedehnten roten Gummiband zusammengehalten wurde – ein umfangreiches Memo mit einer Liste aller Fragen, die ich stellen sollte, und diversen historischen Themen, die ich im Seaton-Hall-Artikel behandeln musste. Außerdem erklärte Martha, wie man einen Duke und eine Duchess anredete (inklusive der Empfehlung zu knicksen, aber das überließ sie meinem persönlichen Empfinden), und hatte schließlich noch einen Supertipp (nach ihrer Meinung) parat: Die Duchess, ehedem Bibi Wishart aus dem Martin County, Kalifornien, war früher Textildesignerin gewesen. Möglichst viele überschwängliche Kommentare über die Dekorationsstoffe in Seaton Hall seien also angebracht. Komplimente für die Vorhänge!, lautete eine gekritzelte Randnotiz. Die abschließende Instruktion war dreimal unterstrichen. Denk romantisch! Ihre Gnaden will das Haus für Hochzeiten vermieten.
Statt mich über Marthas Kommandos aus der Ferne zu ärgern oder wegen der Vermutung, ich hätte keine Manieren, beleidigt zu sein, war ich dankbar und ein bisschen traurig. Sie hatte so viel Mühe in den Trip investiert! Und nun profitierte ich davon. Ich hatte ein schlechtes Gewissen und fand, dass ich es ihr schuldig war, mich bei diesem Besuch so zu verhalten, wie sie es tun würde (nur auf den Knicks würde ich verzichten). Im Memo stand, dass man mich an der Buxton Station mit dem Auto abholen würde. Welch ein Luxus, dachte ich und bemitleidete Martha erneut.
Normalerweise waren solche Pressetermine ein einziges würdeloses Gerangel. Eine große Reportergruppe wurde aus dem Zug in einen wackeligen Minibus gescheucht, in dem die Sitzordnung einer stillschweigend akzeptierten, strengen Hierarchie folgte. Ganz vorn saßen die Journalisten der seriösen Blätter, von uns anderen dank ihrer Wichtigkeit und ihres Einflusses getrennt. Ihre gelangweilten Mienen bekundeten, dass sie sich sonst mit viel bedeutsameren Themen befassten, die wir minderwertigen Schreiberlinge niemals verstehen würden. In der Mitte saßen die Journalisten von meiner Sorte, die für kleine, spezialisierte Magazine mit begrenzter und stetig abnehmender Leserschaft arbeiteten. Aufgrund der langen Tradition unserer Häuser genossen wir ein gewisses Ansehen, übten aber keinen Einfluss aus und krallten uns an den letzten Resten unseres einstigen Ruhms fest. Man war froh, wenn so ein Tag zu Ende ging. Zumindest galt das für mich. Ganz hinten im Bus saßen die häufig schon etwas betagteren Freiberufler wie unartige Schulkinder. An solchen Reisen nahmen sie nur aus einem einzigen Grund teil – wegen der kostenlosen Verpflegung. Animiert von der für sie ungewohnten Nähe so vieler Kollegen schilderten sie lauthals frühere Trips, beschrieben die gute oder schlechte Qualität der kostenlosen Lunches oder der Sandwiches zum Tee. Oft erzählten sie auch von ihrer glorreichen Tätigkeit für inzwischen eingestellte Zeitschriften und beklagten den Niedergang des Kulturjournalismus. Die festangestellten Journalisten gingen ihnen aus dem
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