Vergiss das mit dem Prinzen: Roman (German Edition)
Generationen abgenutzt, schimmerten sie matt im Kerzenlicht eines tief hängenden eisernen Lüsters. Die schmalen Fensterschlitze ließen nur schwachen Sonnenschein herein, und so erhellten die Wachskerzen den Raum wie zu der Zeit, in der Seaton Hall erbaut worden war. Eine magische Atmosphäre …
Ich blieb auf der Schwelle stehen und starrte in diese traumhafte Halle. Um das Geländer der Holztreppe, die zu einer reichgeschnitzten Galerie hinaufführte, wanden sich Stechpalmenzweige und Efeu. Gigantische Spiegel voller blinder Flecken hingen an den Wänden und reflektierten endlos das Kerzenlicht, als würde man in eine lange Flucht von Räumen blicken. Die Halle war nicht so üppig geschmückt wie im Versailles-Stil, eher dezent, trotzdem wirkte sie feudal und imposant. Auf der untersten Stufe der Treppe standen der Duke und die Duchess und begrüßten mich mit einem wortlosen Lächeln, sichtlich erfreut über mein offensichtliches Staunen.
»Es gefällt Ihnen, stimmt’s?« Lance hängte sich bei mir ein und drückte meinen Arm. »›Bibi‹, habe ich gesagt, ›wenn sie hereinkommt, musst du ihr das Kerzenwunder in seiner ganzen Pracht bieten.‹ Und jetzt, wo ich Ihr Gesicht sehe, weiß ich, dass ich völlig recht hatte. Nicht wahr?«
»Völlig«, wiederholte ich beeindruckt. In meiner Ehrfurcht vergaß ich, die Textilien zu bewundern und meine Gastgeber korrekt zu begrüßen.
Die Duchess kam auf mich zu – nein, sie schritt hoheitsvoll. Anmutig streckte sie ihre Hand aus. »Miss Carmichael?« In ihrer glasklaren Stimme schwang nicht der geringste amerikanische Akzent mit.
»Euer Gnaden …« Meine Knie knickten ein, und unwillkürlich senkte ich den Kopf. Irgendwie riefen das hoheitsvolle Auftreten der Hausherrin und die eindrucksvolle Halle unterwürfige Gefühle in mir wach; vielleicht war ein schlummernder serviler Instinkt geweckt worden. Oder Marthas unsichtbare Hand legte sich über die Meilen hinweg auf meine Schultern und drückte mich in einen Knicks hinab.
Nun trat der Duke an die Seite seiner Gemahlin. Auch er schüttelte mir die Hand – nicht herablassend, eher herzlich jovial. Aus der Nähe betrachtet erschienen mir die beiden älter, als ich anfangs vermutet hatte. Das Kerzenlicht musste ihnen geschmeichelt haben. Wahrscheinlich war er Anfang fünfzig. Er hatte eine beginnende Stirnglatze und gerötete Wangen, was von einer senffarbenen Krawatte noch betont wurde. Das Tweedjackett hatte, nach den abgenutzten Lederflecken an den Ellbogen zu schließen, schon sein Vater getragen. An der roten Hose sah ich Schlammspritzer und etwas, das wie Spuren von Hundepfoten aussah.
Offensichtlich stammte die Duchess aus einer ganz anderen Welt. Ihr Akzent mochte alles Amerikanische verloren haben. Aber ihre äußere Erscheinung ließ unverkennbar auf ihre Herkunft schließen. Sie konnte fünfunddreißig oder sechzig sein, denn ihr etwas unbewegliches Gesicht zeugte nicht von Jugend, sondern von kosmetischer Hilfe. Im geföhnten blonden Haar glänzten helle Strähnen, kein einziges Haar wagte es, seinen Platz zu verlassen. Ihre Maniküre war untadelig. Einerseits bewunderte ich, wie hingebungsvoll sie sich hier draußen in der Wildnis von Derbyshire um ihr Aussehen kümmerte. Und andererseits überlegte ich abschätzig, ob sie wusste, dass sie sich dadurch, trotz ihres Titels, automatisch für die aristokratischen Kreise disqualifizierte. Wenn sie dazugehören wollte, brauchte sie ein bisschen dunkle Erde unter den Fingernägeln und musste ihre Kleider auf Landwirtschaftsmessen kaufen statt bei edlen Designern.
Da ich selber nicht den gehobenen Kreisen angehörte, also keine Insiderin, aber eine aufmerksame Beobachterin war, merkte ich schnell, wenn jemand auf die falsche Weise nach Höherem strebte. Die Duchess tat mir leid, auch wenn mir ihre gönnerhafte Art missfiel. Sie merkte es, das sah man ihren durchdringenden Augen sofort an. Wir waren zwei Außenseiterinnen, die einander begegneten, und ihr Begrüßungslächeln erstarrte zu einer Grimasse voller Abneigung. Offenbar bevorzugte sie ehrfürchtige Gäste, keine mitfühlenden.
Dass auch Lance nicht dazugehörte, spielte keine Rolle. Er versuchte gar nicht, sich anzupassen. Stattdessen benahm er sich wie ein hingerissener Tourist, und sein Enthusiasmus wirkte ansteckend.
Während der Duke und die Duchess steif wie Pappfiguren dastanden, führte Lance mich durch die Halle. »Sicher haben Sie alles mit Martha besprochen. Oh, ich liiiiebe Martha,
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