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Vergiss den Sommer nicht (German Edition)

Vergiss den Sommer nicht (German Edition)

Titel: Vergiss den Sommer nicht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Morgan Matson
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Buchhalter seiner Firma – nicht sonderlich begeisterte, als er davon erfuhr.
    Nun, gegen solcherlei Tragödien gerüstet, deponierte Warren zwei der Flaschen im nahezu leeren Kühlschrank und räumte den Rest in den Küchenschrank. »Willst du wissen, wie Ketchup eigentlich erfunden wurde?«, fragte er mit einem Gesichtsausdruck, den ich leider nur zu gut kannte. Warren war total versessen auf Faktenwissen. Das war so, seit er klein war und ihm irgendein wahrscheinlich wohlmeinender, aber inzwischen viel geschmähter Verwandter ein Buch geschenkt hatte, in dem es um berühmte Erfindungen ging, die rein zufällig zustande gekommen waren. Seither war es schlicht unmöglich, sich mit Warren zu unterhalten, ohne von ihm permanent mit Fakten versorgt zu werden. Sein Streben nach nutzlosem Wissen (dank seiner ebenfalls stark ausgeprägten und ähnlich unterhaltsamen Vorliebe für obskure Wörter wusste ich, dass man so was auch »Arkana« nennt) hatte seither eher noch zugenommen. Erst nachdem wir uns mal ernsthaft bei ihm beschwert hatten, ließ er uns an seinem Wissen nur noch auf Nachfrage teilhaben, was die Sache meiner Meinung nach nur geringfügig besser machte.
    »Später vielleicht«, sagte ich also, obwohl ich zugegebenermaßen schon ein bisschen neugierig war, wie man Ketchup zufällig erfunden haben konnte, und hoffte, dass es keine irgendwie eklige oder verstörende Geschichte war – so wie bei Coca-Cola, die offenbar nur das Ergebnis eines gescheiterten Versuchs war, Aspirin herzustellen. Entnervt sah ich mich nach einem Fluchtweg um und erspähte durch das Küchenfenster den See. In dem Moment wurde mir klar, dass das der einzige Ort war, an dem ich gerade wirklich sein wollte.
    Also bahnte ich mir den Weg zur Veranda und von dort zur Seitentür, um zu unserem Steg zu gelangen. Als ich endlich unter freiem Himmel war, wandte ich mein Gesicht sehnsüchtig gen Sonne. Fünf Holzstufen führten einen kleinen Grashügel hinunter, hinter dem der Steg lag. Obwohl er sich direkt hinter unserem Haus befand, hatten wir ihn uns schon immer mit unseren Nachbarn zu beiden Seiten geteilt. Der Steg war zwar weder besonders lang oder eindrucksvoll, hatte für mich aber immer genau die richtige Länge, um für eine ordentliche Arschbombe Anlauf zu nehmen, und das Wasser war tief genug, dass man keine Angst haben musste, auf dem Grund aufzukommen.
    Im Gras neben dem Steg lagen ein paar Kajaks und ein Kanu, die ich aber nicht weiter beachtete. Kein Motorengedröhn störte die Nachmittagsstille, da Motorboote hier nicht erlaubt waren. Nur ein einsamer Kajakfahrer paddelte in der Ferne. Der Lake Phoenix war ziemlich groß, ringsum von Nadelwald umgeben und mit drei kleinen Inseln in der Mitte. Unser Steg lag an einer schmalen Durchfahrt, sodass wir das andere Ufer und sogar die Leute dort erkennen konnten.
    Ich schaute hinüber zum gegenüberliegenden Steg, der schon immer den Marinos gehört hatte. Lucy Marino war zwölf Sommer lang meine beste Freundin in Lake Phoenix gewesen, und zeitweise kannte ich ihr Zuhause so gut wie mein eigenes. Fast jede Nacht schliefen wir abwechselnd bei ihr oder bei mir, und unsere Eltern hatten sich schon so daran gewöhnt, dass meine Mutter regelmäßig Lucys Lieblingsmüsli mit einkaufte. Normalerweise versuchte ich, einfach nicht mehr an sie zu denken, doch es war mir sehr wohl bewusst, ganz besonders in letzter Zeit, dass Lucy die letzte Freundin gewesen war, der ich wirklich alles erzählen konnte. Bei mir in der Schule konnte keiner so richtig mit der Nachricht von der Krankheit meines Vaters umgehen, sodass ich keine Ahnung hatte, wie oder mit wem ich darüber eigentlich sprechen sollte. Und da mich meine alten Freunde allesamt verstoßen hatten, fühlte ich mich am Endes des Schuljahres, als wir mit den Vorbereitungen für unseren Sommer hier oben anfingen, ziemlich verlassen und kannte keinen Menschen, mit dem ich wirklich reden konnte. Aber früher hatte ich immer Lucy alles erzählt, bis zu jenem letzten Sommer, als unsere Freundschaft – so wie alles andere – den Bach runterging.
    Nur aus lauter Gewohnheit schaute ich hinüber zum anderen Seeufer. Im Laufe der Jahre hatten Lucy und ich ein ausgeklügeltes Kommunikationssystem entwickelt. Bei Dunkelheit verständigten wir uns mit Taschenlampen und unserem eigenen Morsecode, bei Tageslicht bedienten wir uns eines nicht besonders eindeutigen Zeichensystems mit Fähnchen. Und wenn wir ganz dringend miteinander reden wollten, banden

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