Vergiss den Sommer nicht (German Edition)
etwas später sogar die Sonne herauskam.
Die beste und die schlimmste Zeit
Kapitel 30
»Taylor!« Ich öffnete die Augen und sah Lucy, die im Bikini bei uns auf dem Steg lag und mit der Hand vor meinem Gesicht herumfuchtelte.
»Tut mir leid.« Ich setzte mich auf und versuchte mich zu erinnern, worüber sie gerade geredet hatte. Eigentlich hatte ich ihr überhaupt nicht zugehört. »Was hast du gesagt?«
»Lass mich raten«, sagte Lucy kopfschüttelnd. »Du hast mir überhaupt nicht zugehört.«
Mein entrücktes Lächeln quittierte Lucy mit einem lauten Aufstöhnen. »Mann, Mann, Mann«, beklagte sie sich. »Wie soll man sich denn vernünftig mit dir unterhalten, wenn du ständig in Knutschrückblenden abtauchst?«
Kurzzeitig erwog ich, alles abzustreiten, befürchtete aber, dass das wohl nichts bringen würde. Also schob ich mir die Sonnenbrille wieder über die Augen, legte mich zurück auf mein gestreiftes Handtuch und streckte mich genüsslich in der warmen Nachmittagssonne aus.
Es war schon fast Juli, etwas über eine Woche, nachdem Henry und ich uns im Baumhaus geküsst hatten. Und Lucy lag mit ihrer Beschwerde gar nicht so daneben. Genau genommen hatte sie den Nagel sogar auf den Kopf getroffen, denn während sie redete, waren meine Gedanken zum vorigen Abend gewandert, als Henry und ich – nachdem wir sicher sein konnten, dass der Rest unserer jeweiligen Familien schlief – auf genau diesem Steg mit einer Decke unterm Sternenhimmel gelegen und uns geküsst hatten. Irgendwann mussten wir eine Pause einlegen, um wieder zu Atem zu kommen. Ich lag mit dem Kopf auf Henrys Brust, die sich im Rhythmus seines Atems hob und senkte, und schaute nach oben in den Himmel. »Kennst du dich eigentlich mit Sternbildern aus?«, fragte ich und spürte sein Lachen in seiner Brust, noch ehe ich es hörte.
»Nee«, antwortete er. Ich hörte das Lächeln in seiner Stimme. »Willst du mir was drüber beibringen?«
»Nein«, wehrte ich ab, die Augen immer noch auf den Sternen über uns. »Wollt’s nur mal wissen.« Er strich mir mit der Hand über die Haare und ich schloss die Augen, nur für einen Moment, immer noch ein bisschen erstaunt, dass das alles ganz real war und wirklich gerade passierte.
Obwohl wir erst so kurz zusammen waren, wusste ich, dass diese Beziehung anders war als alle meine bisherigen. Und es war auch anders als vorher, als wir noch ganz jung und unerfahren gewesen waren. Es kam mir vor, als ob die ganzen Probleme, die meine anderen Beziehungen so kompliziert gemacht hatten – der Tratsch und der Stress in der Schule – einfach nicht existierten. Er wohnte nebenan, meine Eltern mochten ihn, und außer unseren nicht sonderlich anstrengenden Jobs hatten wir keine Aufgaben oder Verpflichtungen. Und im Vergleich zu Warrens taufrischer Beziehung zu Wendy war mein Zusammensein mit Henry wenig nervenaufreibend.
Das soll nicht heißen, dass Warren nicht glücklich war – er hatte sogar die lästige Angewohnheit entwickelt, permanent vor sich hin zu summen –, aber er verbrachte vor einem Date immer noch endlos Zeit mit der Entscheidung, welches Hemd er anziehen sollte. Und hinterher musste er stundenlang jede Bemerkung von ihr rekapitulieren, als ob er auf irgendwelche versteckten Botschaften und Hinweise hoffte. Warren und ich kamen inzwischen abends oft zur selben Zeit nach Hause und saßen dann draußen noch zusammen, meistens auf den Stufen zu unserer Veranda. Dann musste ich ihm dabei zuhören, wie er seinen Abend sezierte und analysierte. Im Vergleich zu Warrens Beziehung war mein Verhältnis zu Henry überraschend entspannt. Es war, als ob ich einfach ich selbst sein konnte, wenn ich mit ihm zusammen war. Schließlich kannte er meine Schwachstellen schon, insbesondere die größte von allen. Und das bedeutete, dass ich in stillen Momenten, wenn ich mit dem Kopf auf seiner Brust dalag, die Augen schließen und einfach nur atmen und den Frieden genießen konnte.
Aber natürlich ging es bei Henry und mir nicht nur still und friedlich zu. Zwischen uns war ein Knistern, das ich bei keinem der anderen (vier) Jungs, die ich bisher geküsst hatte, spüren konnte. Wenn wir uns küssten, war ich kaum in der Lage, meine Hände von ihm zu lassen. Dann blieb die Zeit für mich stehen und ich vergaß, wo ich war. Schon bei dem Gedanken an seine Küsse schwirrte es mir im Bauch, und ich hatte schon mehrere Ladungen Pommes verbrennen lassen, weil ich Löcher in die Luft starren und an den vorherigen Abend
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