Vergiss den Sommer nicht (German Edition)
Ewigkeit damit aufziehen. Andererseits …
Wieder donnerte es, diesmal schon deutlich näher. Da fasste ich einen Entschluss. Das bisschen Regen würde ich schon überleben. Und es war auf jeden Fall besser, als mich von Warren – ganz zu schweigen von meinem Vater – den ganzen restlichen Sommer deswegen belächeln zu lassen. Also stieg ich auf mein Rad und fuhr die Main Street entlang, wo sich auf dem Asphalt schon die ersten Pfützen bildeten. Beim Durchfahren spritzte mir das Wasser an die Füße und die nackten Beine, was mir endgültig bewies, dass es kein guter Tag für kurze Hosen war.
Aber ich fuhr unbeirrt weiter, obwohl ich klitschnass wurde. Auch der Donner kam immer näher, und ich zuckte bei jedem Krachen zusammen. Immer fester umklammerte ich die Lenkergriffe. Als ich kurz anhielt, um mir das Wasser aus dem Gesicht zu wischen und die Tasche im Fahrradkorb zurechtzurücken, zuckte in der Ferne ein Blitz.
»Verdammt«, murmelte ich, zog meine Kapuze tiefer ins Gesicht und musterte prüfend mein Fahrrad. Wie unschwer zu erkennen war, bestand es hauptsächlich aus Metall. Obwohl die Gummireifen mich vermutlich vor einem Stromschlag bewahren würden, hatte ich eigentlich keine große Lust, das in der Praxis auszutesten. Inzwischen war ich nass bis auf die Haut, und an meinen nackten Beinen rollten die Wassertropfen herunter. Es goss jetzt so heftig, dass ich kaum noch die vor mir liegende Straße erkennen konnte. Wenn ich stehen blieb, kam es mir so vor, als ob ich noch nasser wurde als beim Fahren. Also wischte ich mir die Hände an meinem triefenden Sweatshirt ab und schwang das Bein über den Sattel. In diesem Moment bremste jemand scharf neben mir.
»Taylor?« Als ich mich umdrehte, sah ich Henry, der auf seinem Fahrrad fast genauso durchnässt war wie ich – abgesehen vielleicht vom Gesicht, denn er trug ein Basecap.
»Hi«, antwortete ich und war heilfroh, dass ich meine Kapuze aufhatte, denn den Zustand meiner Haare mochte ich mir lieber nicht vorstellen. Doch dann befürchtete ich, dass ich mit Kapuze wahrscheinlich aussah wie ein ins Wasser gefallener Kobold.
»Echt heftig, was?«, rief er. Er musste gegen den Regen und den Wind anschreien.
»Und wie«, schrie ich zurück. Ich musste in mich hineingrinsen, weil ich mir gerade vorstellte, wie albern wir sicher aussahen – zwei Leute, die sich mitten in einem Wolkenbruch am Straßenrand unterhielten.
»Wollen wir los?«, fragte er. Ich nickte, stellte mich auf die Pedale und stemmte mich gegen den Wind. Der Regen kam jetzt von der Seite, und der Wind war so stark, dass ich mein Rad kaum noch gerade halten konnte. Ich eierte vor mich hin und musste immer wieder einen Fuß kurz auf die Straße setzen, um nicht umzukippen. Henry war dadurch schon ein Stück weiter, hielt aber immer wieder an und wartete auf mich. Als er wieder einmal stehen blieb, schloss ich zu ihm auf und fuhr dann an ihm vorbei in der Annahme, dass er gleich wieder neben mir sein würde. Aber als ich mich nach ein paar Sekunden zu ihm umdrehte, stand er immer noch am Straßenrand.
»Alles okay bei dir?«, rief ich ihm durch den Regen zu und dachte, dass eine Panne jetzt der Oberhammer wäre.
»Ja«, schrie er zurück. »Aber das ist doch voll krank. Lass uns einfach warten, bis der Regen nachlässt. So heftig wird er nicht bleiben.«
»Schon, aber …« Ich zitterte. Ich sehnte mich jetzt nicht mehr nach einem Feuer, sondern nach einer heißen Dusche. Darunter würde ich stehen bleiben, bis unser winziger Boiler leergelaufen und der Spiegel im Bad komplett beschlagen war. Ich drehte mich um und schaute zurück in Richtung Main Street, wo es die einzigen Unterstellmöglichkeiten weit und breit gab. Aber der Gedanke, den ganzen Weg wieder zurückzufahren, nur um dann den Heimweg wieder von vorn in Angriff zu nehmen, war wenig verlockend.
»Los, komm«, rief Henry. Er kontrollierte, ob die Straße frei war, und überquerte sie. Verwundert sah ich, wie er abstieg und sein Rad in eine Einfahrt schob.
»Henry!«, rief ich zu ihm hinüber. »Was soll das denn werden?« Ich wusste nicht, ob er mich gehört hatte, auf jeden Fall schob er unbeirrt weiter. Während ich keine Ahnung hatte, was los war, hatte er wohl wenigstens so eine Art Plan. Also schaute ich ebenfalls nach links und rechts und fuhr auf die andere Straßenseite.
Als ich die Einfahrt erreicht hatte, ließ der Regen unter den Bäumen ein bisschen nach. Suchend schaute ich mich nach Henry um und sah, wie er sein
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