Vergiss den Sommer nicht (German Edition)
ich bekommen, als wir an einer Schießbude vorbeikamen, bei der man mit Wasserpistolen auf galoppierende Pferde zielen musste. Der Inhaber rief Henry zu: »Na mein Junge, willst du deiner Freundin ’nen Preis holen?«
Dabei hatte er breit gegrinst, weil er dachte, dass wir das peinlich fänden, aber Henry war einfach rübergegangen, hatte einen Dollar hingelegt und beim ersten Versuch zwar nicht den Hauptgewinn, aber immerhin die nächste Kategorie abgeräumt.
Am späteren Abend strahlten die Neonlichter noch heller in der Dunkelheit. Ich war mit Mom und meinen Geschwistern um halb zehn zum Heimgehen am Ausgang verabredet. Dad, derden Jahrmarkt sonst nie verpasste, hatte das ganze Wochenende an einem Fall gearbeitet. Henry wollte sich etwa um dieselbeZeit mit seiner Mutter treffen und so schlenderten wir zusammen in Richtung Ausgang. Doch kurz bevor wir dort ankamen, nahm er meine Hand und zog mich ein Stück beiseite in den Schatten des Kassenhäuschens, weg von den vielen Leuten. Ehe ich richtig begriffen hatte, was los war, kam Henry mit seinem Gesicht auf mich zu und schloss die Augen. Ich konnte gerade noch rechtzeitig selbst die Augen zumachen, als er mich auch schon küsste.
Nachdem ich in Zeitschriften Dutzende Artikel darüber gelesen hatte, wie man richtig küsste, hatte ich große Angst, etwas falsch zu machen. Aber als seine Lippen meinen Mund berührten, wusste ich, dass die ganzen Beschreibungen total überflüssig waren, denn eigentlich war es ganz einfach.
Ich drückte den Pinguin an mich und dachte an den Abend zurück. Er hatte mich geküsst . Ich war geküsst worden. Ich stieg aus dem Bett und tanzte geradezu in Richtung Küche. Aber als ich Dad am Esstisch sitzen sah, der mit dem Telefonhörer am Ohr finster auf seinen Bildschirm und die danebenliegenden Unterlagen starrte, ließ meine Euphorie augenblicklich nach.
Da ich nicht so recht wusste, wohin mit meinen Glücksgefühlen, verdrückte ich mich durch die Veranda hinaus ins Freie und rannte hinunter zum Bootssteg. Ich wollte einfach nur in der Sonne liegen und an nichts anderes als den gestrigen Abend denken. Aber als ich am Ende des Stegs ankam, stutzte ich.
Am Steg gegenüber flatterte ein rosa Bandana-Tuch. Lucy war wieder da.
Kapitel 22
»Hast du eigentlich gewusst, dass die ältesten jemals entdeckten tierärztlichen Dokumente von etwa 1800 vor Christus stammen? Und dass die erste Hochschule für Tierärzte im Jahr 1761 in Frankreich gegründet wurde?« Müde drehte ich den Kopf zu meinem Bruder und bedauerte, dass ich nicht so weitsichtig gewesen war, meinen iPod mit raus auf den Steg zu nehmen. »Mal ehrlich, hast du das gewusst?«, beharrte Warren.
Ich konnte nur noch entnervt den Kopf schütteln. Schon vor zwanzig Minuten hatte ich alle Versuche aufgegeben, ihn anzuflehen, dass er mich doch bitte mit seinen atemberaubenden Fakten zur Geschichte der Veterinärmedizin verschonen möge. »Wusst ich’s doch!« Begeistert wandte er sich wieder dem Buch auf seinem Schoß zu. »Voll faszinierend!«
Ich hatte wieder mal einen freien Tag und es tatsächlich bis runter zum Steg geschafft, wo ich den Nachmittag in der Sonne verdösen wollte. Die Anwesenheit meines Bruders, der hier aufgetaucht war, kurz nachdem ich es mir auf dem Handtuch bequem gemacht und meine Zeitschrift aufgeschlagen hatte, war dabei allerdings nicht eingeplant gewesen. Jetzt saß er also rum und ließ die Füße ins Wasser baumeln, während ich mich im Bikini auf meinem Handtuch ausstreckte und darauf hoffte, ganz Lucy-mäßig einfach einzuschlafen. Seit wir vor vier Tagen zusammen im HundeLeben gewesen waren, hörte er praktisch gar nicht mehr auf, von Tierärzten und dem ach-so-faszinierenden Gebiet der Tiermedizin zu schwafeln.
Wie schon nach wenigen Tagen – trotz aller Versuche meiner Mutter, die nichtsnutzigen, Hunde aussetzenden Vorjahresmieter ausfindig zu machen – klar wurde, hatten wir jetzt einen Hund. Murphy war bei uns eingezogen, sehr zur Freude meiner Schwester. Aber überraschenderweise war es mein Vater, dender Hund sofort ins Herz schloss. Wenn ich morgens zur Arbeit fuhr – mittlerweile immer mit dem Fahrrad, wenn es nicht garzu sehr nach Regen aussah –, saß er meistens bei Dad auf dem Schoß und schaute auf dessen Computerbildschirm, als ob er verstand, was dort vor sich ging. Und auch nach dem Abendessen forderte er diesen Platz ein. Ich hatte sogar einmal meine Mutter dabei ertappt, wie sie ihm den Kopf gekrault hatte – sicher
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