Vergiss den Sommer nicht (German Edition)
guter Dinge, so wie ich sie schon immer kannte und, wie ich naiverweise angenommen hatte, immer bleiben würden.
Zwei Stunden später steckte ich meinen Kopf zu Gelsey insZimmer. »Alles klar bei euch?«, fragte ich. Eigentlich hatte ich erwartet, eine typische Pyjamaparty toben zu sehen – Knabberkram (Popcorn hatten wir ja genug), Zeitschriften, Schminkzeug, vielleicht einen heimlich stibitzten Kitschroman. Aber nichts dergleichen. Nora saß auf dem Teppich und spielte ein Kartenspiel auf ihrem Handy, während Gelsey auf ihrem Bettlag und in der Biografie einer berühmten Ballerina herumblätterte.
»Alles paletti«, sagte Gelsey, und Nora nickte nur kurz, ohne von ihrem Handy aufzuschauen.
»Spitze.« Nachdem ich mir diese Szene noch einen Augenblick angesehen hatte, verzog ich mich wieder in den Flur. »Also … ihr ruft einfach, falls ihr was braucht.«
»Alles klar.« Ich schloss die Tür und war mir nicht sicher, ob sie nur deshalb so ruhig waren, weil ich gerade nach ihnen gesehen hatte. Unentschlossen wartete ich darauf, das Gekicher und Gekreisch einer ganz normalen Pyjamaparty zu hören. Doch außer Stille drang nichts aus dem Zimmer.
Ohne auch nur einen Moment nachzudenken, was ich tat, holte ich mein Handy aus meinem Zimmer, scrollte durch meine Kontakte, bis ich Lucys Nummer fand, und drückte auf Anrufen, ehe ich es mir anders überlegen konnte. Sie nahm schon beim zweiten Klingeln ab.
»Hi, Taylor«, meldete sie sich mit etwas skeptischer Stimme. »Was gibt’s?«
»Tut mir leid, wenn ich störe«, sagte ich und ging durch den Flur zur Küche. Ich öffnete die Kühlschranktür und sah, dass dort – von gekühltem Ketchup in absurden Mengen abgesehen – Plätzchenteig und Sprite standen. Sehr gut. »Pass auf, meine Schwester hat eine Freundin zum Übernachten eingeladen.«
»Okay«, sagte Lucy. »Und?«
Vor meinem geistigen Auge tauchte Gelseys Zimmer wieder auf, wie gesetzt und unfassbar normal es dort zugegangen war. »Und die machen das total falsch.«
Pause. »Wie falsch?«
»Die reden nicht mal miteinander. Meine Schwester liest, und ihre Freundin spielt ein Handyspiel.«
Wieder Pause. »Das ist gar nicht gut.«
»Ich weiß«, sagte ich. »Sie wissen überhaupt nicht, wie das richtig geht. Und ich musste halt dran denken, wie das immer war, wenn du bei uns übernachtet …« Ich brauchte nicht bis zu Ende zu reden, denn Lucy verstand mich auch so. Unsere Pyjamapartys waren legendär gewesen. Wenn zu Hause in Connecticut eine Freundin bei mir übernachtete, fand ich immer, dass irgendwas fehlte. Ich nahm das Telefon ans andere Ohr und wartete.
Als Lucy antwortete, klang sie so resolut und routiniert, als wäre alles längst abgesprochen. »Was soll ich mitbringen? Weiß jetzt gerade nicht so genau, was wir noch an Knabberzeug hier haben.«
Grinsend inspizierte ich unsere Küchenschränke. »Also, wir haben hier mehr Popcorn und Schokolade, als ein normaler Mensch je schaffen könnte«, sagte ich. »Aber vielleicht gibt’s bei euch noch Bonbons oder Chips?«
»Beides positiv«, bestätigte sie. »Plätzchenteig?«
»Vorhanden«, versicherte ich ihr.
»Geht klar. Also, bin in zehn Minuten da.«
Gleich nachdem wir aufgelegt hatten, holte ich mein Schminktäschchen aus seinem Dornröschenschlaf auf meiner Kommode. Dort hatte es schon Staub angesetzt, weil ich diesen Sommer noch keine Lust auf Schminken gehabt hatte. Eigentlich nahm ich an, Lucy würde per Auto oder Fahrrad zu uns rüberkommen, weshalb es mich fast vom Hocker haute, als keine zehn Minuten später eine SMS von ihr kam: Bin am Steg. Hilf mir tragen.
Ich rannte durch die Veranda, die Stufen nach unten und über den Hügel, der runter zum Steg führte. Obwohl schon nach acht, war es noch nicht ganz dunkel – es herrschte diese typisch sommerliche Abenddämmerung, die ewig anzuhalten schien und alles irgendwie bläulich einfärbte. Unten am Steg kletterte Lucy gerade aus einem Ein-Mann-Kajak und zog es hinter sich aus dem Wasser.
»Hi«, rief ich und rannte barfuß auf den Steg. »Ich dachte, du kommst mit dem Rad.«
»So bin ich doch viel schneller«, sagte sie und stellte zwei vollgestopfte Baumwollbeutel ab. Dann zog sie das Kajak auf das Gras und legte das Paddel hinein. »Außerdem ist auf dem Wasser viel weniger Verkehr.«
»Hast du überhaupt was gesehen?«, fragte ich besorgt, während ich mir eine der Taschen über die Schulter hängte. Lucy nahm eine Taschenlampe aus dem Kajak und ließ den Lichtstrahl
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