Vergiss den Sommer nicht (German Edition)
sie mich an. »Sagst du mir Bescheid, wenn ich irgendwas tun kann?«, beharrte sie. Und als ich bloß nickte, fragte sie weiter: »Versprochen?«
»Versprochen«, sagte ich. Sie hob das Kajak ins Wasser, stieg hinein und ich reichte ihr Paddel und Taschenlampe.
»Hey«, sagte sie plötzlich und schaute zu mir hinauf, während sie im Mondlicht auf dem Wasser auf und ab wippte, »erinnerst du dich noch an diese Zeichen, die wir immer hatten?«
Ich musste lächeln, als ich mich an unser Zeichensystem erinnerte, mit dem wir unsere Nachrichten quer über das Wasser geschickt hatten. »Ich denke schon.«
»Gut«, sagte Lucy, stieß sich mit dem Paddel vom Steg ab und setzte sich mit ein paar raschen, gekonnten Schlägen in Bewegung. Der Lichtstrahl ihrer Taschenlampe schaukelte über das Wasser. »Warte noch kurz hier, okay?«
»Okay«, rief ich zurück. Sie winkte mir mit ihrem Paddel zu, und ich setzte mich auf den Steg. Ich beobachtete sie, wobei mein Blick gelegentlich die eingeritzte Inschrift am Ende des Stegs streifte, die meinen und Henrys Namen miteinander verband.
Als ich wieder auf den See schaute, konnte ich Lucy nicht mehr sehen. Offensichtlich war sie auf der anderen Seite angelangt. Kaum hatte ich das gedacht, kam ein Lichtstrahl über das Wasser geblitzt. Erst ein Blitz, dann drei. Dann noch mal zwei, und zum Schluss drei.
Nach einem kurzen Moment des Nachdenkens fiel es mir wieder ein und ein Lächeln schlich sich auf mein Gesicht, als ich Lucys Nachricht an mich übersetzt hatte.
Gute Nacht, Taylor. Bis morgen.
Kapitel 23
Fünf Sommer zuvor
»Taylor?« Ich sah aus meinem Liegestuhl auf und schob die Sonnenbrille auf die Nasenspitze. Vor mir stand Lucy mit einer Mischung aus Freude und Ärger im Gesicht und in einem Badeanzug, den ich an ihr noch nie gesehen hatte.
»Hi Luce!«, sagte ich und stand auf. Wir umarmten uns, wobei sich meine Begeisterung über das Wiedersehen angesichts der ganzen Halbwahrheiten und Geheimnisse rund um Henry arg in Grenzen hielt. Obwohl ich das rosa Tuch am Steg schon vor anderthalb Wochen entdeckt hatte, war ich ihr bisher mehr oder weniger aus dem Weg gegangen. Meine Zeit verbrachte ich im Wesentlichen mit Henry. Erst am Tag zuvor hatten wir unsere Initialen in den Steg geritzt. Das war für mich zwar einerseits das Romantischste, was ich je erlebt hatte, aber andererseits musste ich dabei immer die andere Seeseite im Blick behalten, damit Lucy uns nicht sah. Sie hatte jeden Tag bei uns angerufen, weshalb ich Warren für einen Monat meinen Nachtisch versprach, wenn er mich verleugnete, ohne weitere Fragen zu stellen. Denn wenn wir einmal miteinander redeten, wusste ich genau, dass ich ihr die Sache mit Henry nicht mehr verheimlichen konnte. Dann hätte ich ihr auch gestehen müssen, dass ich nie mit ihm über sie gesprochen hatte, obwohl sie mich schon vor einem Monat darum gebeten hatte.
Meine Mutter, die meinem Vater ein bisschen Ruhe zum Arbeiten verschaffen wollte, hatte mich aus dem Haus gescheucht. Da ich nicht an den See wollte, war ich ins Freibad gegangen. Dazu hatte ich eine alte Sonnenbrille von meiner Mutter aufgesetzt und mich in einen so abseits wie möglich stehenden Liegestuhl verzogen, damit mich keiner sah.
»Ich hab dich überall gesucht!«, sagte Lucy und fiel mir schon wieder um den Hals. Da merkte ich, wie sehr ich sie eigentlich vermisst hatte und dass sie die Einzige war, der ich von der Geschichte mit Henry erzählen wollte. Denn mein erster Kuss kam mir irgendwie noch unvollständig vor, weil ich sie bisher nicht eingeweiht hatte. »Es gibt ja so viel zu erzählen!«, rief sie, nahm mich bei der Hand und zog mich in Richtung Kiosk.
»Wo willst du denn hin?«, fragte ich und ließ mich von ihr mitziehen.
»Erst mal was Süßes«, sagte Lucy grinsend, zog einen Zehndollarschein hervor und hielt ihn mir vor die Nase. »Ist wahrscheinlich gegen’s schlechte Gewissen. Krieg ich sowohl von Mom als auch von Dad. Na ja, soll mir recht sein.«
Während wir anstanden, redete Lucy ohne Punkt und Komma, und als wir dran waren, kaufte sie Cherry-Cola und Snickers-Eis, das wir uns teilten. Erst als wir nach dem Bezahlen zu den Picknicktischen gingen, merkte sie offenbar, dass ich eher schweigsam war. »Was ist denn los mit dir?«, fragte sie, nachdem sie endlich mal Luft geholt hatte.
Ich stellte meine Coladose ab und wischte mit den Fingern über das Kondenswasser, das sich darauf gebildet hatte. »Also«, antwortete ich zögernd, »ich muss
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