Vergiss die Toten nicht
sich so gefreut hat, betrogen fühlt.«
Mein Gott, dachte Nell. Ist es möglich, dass Adam wirklich in Kontakt mit mir treten will? Ich weiß, dass Mac es nicht ausstehen kann, wenn ich über diese Dinge rede. Andererseits bin ich wirklich überzeugt davon, dass die Verstorbenen an unserem Leben teilhaben. Schließlich habe ich genau gespürt, dass Mama und Papa sich vor ihrem Tod von mir verabschiedeten. Und auch, dass sie bei mir waren, um mich zu retten, als ich in Hawaii fast ertrunken wäre. Warum also sollte es so abwegig sein, dass Adam mich jetzt erreichen will? Aber weshalb hat er sich an eine Fremde gewandt und nicht direkt an mich wie meine Eltern und Großmutter?
Nel betrachtete das Telefon; am liebsten hätte sie Gerti angerufen und ihr gestanden, wie verwirrt sie war.
32
A
ls Dan Minor von seiner täglichen Joggingrunde durch den Central Park zurückkam, war seine Hochstimmung einem beklommenen Gefühl gewichen. Er musste sich eingestehen, dass es zwecklos war, weiter zu hoffen, seine Mutter – »Quinny«, wie Lilly Brown sie nannte – könnte einfach so auf einer Parkbank sitzen. Und dass Lilly eines Tages anrief und meldete: »Sie ist hier im Obdachlosenasyl«, war ebenso unwahrscheinlich.
Nachdem er ausgiebig geduscht hatte, legte sich sein Unbehagen ein wenig. Er zog eine Baumwollhose, ein Polohemd und Slipper an und ging zum Kühlschrank, der in die Frühstücksbar eingebaut war. Er war noch nicht sicher, wo er zu Abend essen wollte, und beschloss, sich zuerst ein Glas Chardonnay mit Käse und Kräckern zu genehmigen.
Er ließ sich auf dem Sofa in der Sitzecke des großen, hohen Raumes nieder. Nach sechs Monaten sah die Wohnung allmählich gemütlich aus. Warum fühlte ich mich in einem Loft in Manhattan so viel mehr zu Hause als im Cathedral Parkway in Washington?, fragte er sich, obwohl er die Antwort längst kannte.
Wahrscheinlich liegt es an Quinnys Genen, sagte er sich. Seine Mutter war in Manhattan geboren, laut Lilly Brown »ihre Lieblingsstadt«, obwohl sie mit etwa zwölf Jahren mit ihren Eltern nach Virginia gezogen war.
Erinnere ich mich wirklich noch an sie oder weiß ich diese Dinge nur, weil andere sie mir erzählt haben?, überlegte Dan weiter.
Als er ungefähr drei gewesen war, hatte sich sein Vater in eine andere Frau verliebt. Seit dieser Zeit hatte Dan nicht mehr bei seinem Vater gelebt. Das einzig Gute, dachte Dan, was sich über meinen lieben, alten Vater sagen lässt, ist, dass er sich nach Mutters Verschwinden nicht um das Sorgerecht bemüht hat.
Er wusste, dass seine Großeltern keine sehr hohe Meinung von seinem Vater hatten, obwohl sie das ihrem Enkel gegenüber nie offen aussprachen. »Leider gibt es viele Ehen, die scheitern, Dan«, hatten sie ihm erklärt. »Und derjenige, der weiter an seinem Partner hängt, hat oft viel zu leiden. Doch nach einer Weile kommt man über den Schmerz hinweg. Gewiss hätte deine Mutter die Scheidung überwunden, aber das, was dir zugestoßen ist, konnte sie sich nicht verzeihen.«
Was macht mich eigentlich so sicher, dass ich nach all den Jahren eine Beziehung zu meiner Mutter aufbauen kann?, fragte sich Dan.
Aber wir werden es schaffen. Das weiß ich ganz genau. Der Privatdetektiv, den seine Großeltern nach der Ausstrahlung des Dokumentarfilms angeheuert hatten, hatte einiges über sie herausgefunden. »Sie hat als Altenpflegerin gearbeitet«, berichtete er. »Und offenbar war sie eine sehr gute. Doch wenn sie wieder ihre Depressionen bekommt, fängt sie an zu trinken und lebt auf der Straße.«
Der Detektiv hatte eine Sozialarbeiterin ausfindig gemacht, die einmal ein langes Gespräch mit Quinny geführt hatte. Während Dan an seinem Wein nippte, grübelte er über die Worte der Sozialarbeiterin nach: »Als ich von Quinny wissen wollte, was sie sich im Leben am meisten wünschte, sah sie mich lange an und flüsterte schließlich: ›Vergebung‹.«
Es wollte ihm nicht mehr aus dem Kopf.
Das Telefon klingelte. Dan warf einen Blick auf die Rufnummernerkennung und zog erstaunt die Augenbrauen hoch, als er feststellte, dass es Penny Maynard war. Die Modedesignerin wohnte im dritten Stock, und sie hatten ein paar Mal im Aufzug miteinander geplaudert. Sie war etwa in seinem Alter, elegant und attraktiv. Dan hatte sich überlegt, ob er sie zum Essen einladen sollte, sich aber dagegen entschieden. Er wollte keine enge Freundschaft mit einer Nachbarin, die er immer wieder im Fahrstuhl treffen würde.
Er beschloss, nicht an den
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