Vergiss die Toten nicht
Apparat zu gehen.
Der Anrufbeantworter sprang an. »Dan«, sagte Penny streng.
»Ich weiß, dass du da bist. Ein paar Nachbarn sind hier, und wir alle sind uns einig, dass es an der Zeit ist, unseren Hausarzt kennen zu lernen. Also komm rauf. Du brauchst ja nicht lange zu bleiben, außer du hast Lust auf Spaghetti mit meiner improvisierten Spezialsauce.«
Im Hintergrund hörte Dan Stimmengewirr. Plötzlich hatte er das Bedürfnis, andere Menschen zu sehen. Er hob ab. »Ich nehme die Einladung gerne an«, sagte er.
Dan genoss das gesellige Beisammensein bei Penny, blieb zum Essen und kehrte in entspannter, fröhlicher Stimmung rechtzeitig zu den Zehn-Uhr-Nachrichten in seine Wohnung zurück. Eine kurze Meldung behandelte den Trauergottesdienst für Adam Cauliff, der bei einem Schiffsunglück im Hafen von New York zu Tode gekommen war.
Rosanna Scotto vom Sender Fox News berichtete: »Die Explosion, die das Leben von Adam Cauliff und drei weiteren Opfern gefordert hat, wird noch untersucht. Gerade begleitet der ehemalige Kongressabgeordnete Cornelius MacDermott Adam Cauliffs Witwe, seine Enkelin Nell, aus der Kirche. Gerüchten zufolge beabsichtigt Nell MacDermott, für den Sitz im Kongress zu kandidieren, den ihr Großvater fast fünfzig Jahre lang innehatte. Denn der augenblickliche Amtsinhaber Bob Gorman hat angekündigt, sich aus der Politik zurückzuziehen.«
Eine Nahaufnahme von Nel flimmerte über den Bildschirm.
Dan Minor riss die Augen auf – sie kam ihm sehr bekannt vor.
Moment mal, dachte er. Ich bin ihr doch vor vier oder fünf Jahren begegnet, und zwar bei einem Empfang im Weißen Haus.
Sie war mit ihrem Großvater dort, und ich war Tischherr der Tochter des Kongressabgeordneten Dade.
Er erinnerte sich, dass er ein paar Minuten mit Nel Mac-Dermott geplaudert und festgestellt hatte, dass sie beide Absolventen der Universität von Georgetown waren. Kaum zu fassen, dass sie seit diesem zufälligen Treffen geheiratet hatte, Witwe geworden war und nun selbst Karriere in der Politik machen wollte.
Die Kamera blieb auf Nells Gesicht gerichtet. Die Frau mit der angespannten Miene und den schmerzerfüllten Augen hatte nur wenig mit dem lebensfrohen und lächelnden jungen Mädchen gemein, mit dem sich Dan auf dem Empfang unterhalten hatte.
Ich schreibe ihr, nahm er sich vor. Vermutlich hat sie mich längst vergessen, doch ich werde es trotzdem tun. Sie sieht so traurig aus. Bestimmt war Adam Cauliff ein netter Kerl.
Freitag, 16. Juni
33
W
inifred Johnson hatte an der Ecke West End Avenue und 73.
Straße gewohnt. Am Freitagvormittag um zehn Uhr war Nell mit ihrem Großvater in der Vorhalle des Gebäudes verabredet.
»Verblichene Pracht«, stellte sie beim Hereinkommen fest.
Er blickte sich in der Vorhalle um, die eindeutig schon bessere Tage gesehen hatte. Der Marmorfußboden war fleckig, die Beleuchtung dämmrig. Die Möblierung bestand aus zwei schäbigen Sesseln.
»Winifreds Mutter hat heute Morgen den Hausverwalter angerufen und unseren Besuch angekündigt«, erklärte Nel , als der Hausmeister, der offenbar auch als Pförtner fungierte, sie zu dem einzigen Aufzug brachte.
»Nell, ich halte das hier für einen großen Fehler«, meinte Cornelius MacDermott, während der Aufzug rumpelnd in den vierten Stock hinauffuhr. »Ich weiß nicht, was die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen ergeben werden, doch wenn Winifred in die Sache verwickelt war oder Kenntnis von einer Bestechungsaffäre hatte oder…« Er beendete den Satz nicht.
»Wage es nicht, auch nur anzudeuten, mein Mann könnte etwas mit Schmiergeldern oder unlauteren Preisabsprachen zu tun gehabt haben, Mac«, zischte Nell.
»Ich deute überhaupt nichts an. Nur die Tatsache, dass die Polizei beschließen könnte, diese Wohnung zu durchsuchen. Und dass wir beide ihr zuvorgekommen sind, könnte einen schlechten Eindruck hinterlassen.«
»Mac, bitte.« Nel bemühte sich, ihre Stimme zu beherrschen.
»Ich will doch nur helfen. Hauptsächlich bin ich hier, um nachzusehen, ob Winifred für ihre Mutter finanziell vorgesorgt hat. Durch eine Versicherungspolice oder so. Mrs. Johnson hat schreckliche Angst, aus dem Old-Woods-Pflegeheim ausziehen zu müssen. Sie fühlt sich wohl dort. Sie ist zwar ein recht schwieriger Mensch, doch dass sie schwer an Rheuma und Arthritis leidet, ist offensichtlich. Wenn ich die ganze Zeit Schmerzen hätte, würde ich wahrscheinlich auch nicht ständig Charme versprühen.«
»Was hat ihr Charme damit zu tun,
Weitere Kostenlose Bücher