Vergiss die Toten nicht
man konnte es ihm nie nachweisen.«
Brennan stand auf. »Ich glaube, es ist Zeit, dass wir uns Kaplan noch einmal vorknöpfen, meinst du nicht?«
»Durchsuchungsbefehl?«
»Kein Problem. Bei seinem Vorstrafenregister und seinem Motiv, Adam Cauliff einen Denkzettel zu verpassen, wird uns jeder Richter einen ausstellen. Heute Nachmittag haben wir den Wisch.«
»Ich möchte trotzdem noch mit Lisa Ryan sprechen«, sagte Jack Sclafani. »Auch wenn ich Kaplan mit einer Dynamitstange in der Hand ertappt hätte, fresse ich einen Besen, wenn das, wovor sie sich fürchtet, nichts mit dem Zwischenfall auf der Jacht zu tun hat.«
30
D
as Pflegeheim Old Woods Manor lag nur ein paar Häuserblocks entfernt von der viel befahrenen Route 281 in Westchester County, nördlich von New York. Als Nell in die lange Auffahrt einbog, änderte sich die Umgebung schlagartig, denn plötzlich erinnerte nichts mehr an eine Vorstadt. Das prachtvolle Steinhaus vor ihr hätte genauso gut der Landsitz eines reichen englischen Grundbesitzers sein können.
Als ihr Großvater noch Kongressabgeordneter gewesen war, hatte sie ihn oft auf den Erkundungsfahrten durch seinen Wahlkreis begleitet und auf diese Weise viele Pflegeheime von innen gesehen – Einrichtungen, die dringend geschlossen werden mussten, bescheidene, aber ausreichende Unterabteilungen kleiner Krankenhäuser und gut geführte, sorgfältig geplante, ja, manchmal sogar luxuriöse Altersresidenzen.
Sie parkte ihren Wagen, ging hinein und wurde in einem teuer eingerichteten Empfangsbereich von einer Angestellten begrüßt.
Ihr Eindruck bestätigte sich, dass es sich hier um das Allerbeste handelte, was im Pflegebereich für Geld zu bekommen war.
Eine attraktive Frau von etwa Anfang sechzig begleitete Nel im Aufzug in den ersten Stock.
Sie stellte sich als Georgina Matthews vor. »Ich arbeite ein paar Nachmittage in der Woche ehrenamtlich hier«, erklärte sie.
»Mrs. Johnson wohnt in Suite 116. Der Tod ihrer Tochter war ein schwerer Schlag für sie. Wir alle versuchen ihr zu helfen, aber ich muss Sie warnen. Zurzeit hat sie einen Groll auf die ganze Welt.«
Nun, da ist sie nicht die Einzige, dachte Nell.
Sie stiegen aus dem Lift und gingen den mit geschmackvollem Teppichboden ausgelegten Flur entlang. Unterwegs begegneten sie einigen Senioren mit Gehhilfen oder in Rollstühlen. Georgina Matthews hatte für jeden ein Lächeln und ein paar freundliche Worte übrig.
Nel s geschulter Blick erkannte sofort, dass die Patienten ausgesprochen gepflegt und sauber wirkten. »Wie sieht denn Ihr Personalschlüssel aus?«, erkundigte sie sich.
»Eine gute Frage«, erwiderte Mrs. Matthews. »Zwei Mitarbeiter versorgen jeweils drei Bewohner. Natürlich schließt das examinierte Krankenschwestern und Therapeuten ein.« Sie blieb stehen. »Das ist Mrs. Johnsons Wohnung. Sie erwartet Sie.« Mrs. Matthews klopfte an die Tür und öffnete.
Rhoda Johnson lag in einem Fernsehsessel. Sie hatte die Augen geschlossen und die Füße auf einen Schemel gestützt und war in eine dünne Decke gewickelt. Nell hätte sich Winifreds Mutter ganz anders vorgestellt. Sie war schätzungsweise Ende siebzig, breitschultrig und hatte üppiges, grau meliertes Haar.
Dass sich Mutter und Tochter so gar nicht ähnelten, überraschte Nell. Winifred war viel zu dünn gewesen und hatte glattes, feines Haar gehabt. Nel hatte erwartet, dass ihr Äußeres dem ihrer Mutter entsprach. Doch offenbar war Rhoda Johnson aus einem anderen Holz geschnitzt.
Als die beiden Frauen hereinkamen, schlug die alte Dame die Augen auf und blickte Nel an. »Man hat mir gesagt, dass Sie kommen. Wahrscheinlich soll ich Ihnen jetzt dankbar sein.«
»Aber, Mrs. Johnson«, ermahnte Georgina Matthews die Patientin.
Aber Rhoda Johnson schenkte ihr keine Beachtung. »Winifred hat in all den Jahren bei Walters und Arsdale gut verdient. Ihre Gehaltserhöhung hat sogar dafür gereicht, mich hier unterzubringen. Das letzte Pflegeheim war einfach schauderhaft.
Immer wieder habe ich ihr geraten zu bleiben, anstatt im Architekturbüro Ihres Mannes anzufangen, doch sie hat nicht auf mich gehört. Und leider habe ich Recht behalten.«
»Das mit Winifred tut mir sehr leid«, erwiderte Nell. »Ich weiß, wie furchtbar es auch für Sie sein muss. Ich wollte Sie fragen, ob ich Ihnen helfen kann.« Sie spürte, dass Mrs.
Matthews ihr einen raschen Blick zuwarf. Sicher weiß sie, dass Adam tot ist, doch wahrscheinlich hat man bei meinem Anruf nicht vermutet,
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