Vergiss es Baby - Roman
nach Mr. X um. Er war nicht zu sehen. Schade. Sie hatte sich so sehr an seinen Anblick gewöhnt, dass sie ihn fast lieb gewonnen hatte. Etwa so, wie man an einem Gartenzwerg hing, der lange Zeit den Vorgarten geziert hatte, bis ihn jemand entwendete und den man nun vermisste.
Der April hatte sich nach seiner Schönwetterperiode, die schon an Badesee und Bikini denken ließ, an seine Unberechenbarkeit erinnert und überraschte mit kaltem, nassem Wetter. Die ganze Nacht über hatte es geregnet und nun verschanzte sich die Sonne hinter dichten Wolken, die ein unangenehmer Ostwind vor sich hertrieb.
Kaum waren sie auf der Straße, fiel Valentin in leichten Trab.
»Höchste Zeit, mein Faulpelzdasein wieder zu beenden und
in Form zu kommen.« Ihr zuliebe lief er in einem Tempo, das interessierten Beobachtern signalisierte, er brauche trotz seiner Jugend eigentlich eine Gehhilfe. Trotzdem kam sie kaum mit. Wie hatte sie nur so blöd sein können, sich mit einem Profisportler auf Joggingtour zu begeben?
»Warst du denn vorher nicht in Form?«, neckte sie ihn.
»Ich habe es ganz schön schleifen lassen«, schnaufte Valentin neben ihr und atmete übertrieben ein und aus. Ein netter Versuch, sie in seiner Gegenwart nicht allzu lächerlich aussehen zu lassen, aber schlichtweg überflüssig. »Jetzt, wo du meine Interessen vertrittst, fühle ich mich verpflichtet, meinen Teil beizutragen. Warte ab, die auf den Markt geworfene Ware wird schon bald wieder in einem Topzustand sein.«
Marlene konzentrierte sich ganz darauf, nicht allzu weit hinter ihn zurückzufallen und ihren Atem einigermaßen zu kontrollieren. Trotzdem wurde es bereits nach wenigen Metern richtig schlimm. Sie hatte Seitenstechen, war krebsrot im Gesicht und rang nach Luft. Es gab bessere Arten, nett zu seinem Körper zu sein. Gemütlich auf der Couch zu sitzen und Süßigkeiten in sich hineinzustopfen, war eine davon.
Um nicht gleich schnaufend und keuchend zusammenzubrechen, versuchte sie, sich mit einem Trick zu motivieren, und stellte sich vor, sie jage einen Bösewicht. So entsprach sie zumindest dem Bild, das man sich von einer durchtrainierten Agentin machte. Vorausgesetzt, man war geistig flexibel genug, seine Überzeugung, wilde Verfolgungsjagden seien nur in eng anliegenden Lederklamotten zu meistern, zu überdenken. Manchmal war der Michelin-Männchen-Look, wo ein zu kurzes T-Shirt, eine Weste und eine viel zu knappe Jogginghose
darum rangen, die Speckröllchen an Taille, Bauch und Oberarmen einigermaßen zu bedecken, eben praktischer.
Sie liefen eine Weile schweigend am Ufer des Kanals entlang. Das unfreiwillige Gerenne hätte ja ganz lustig sein können, wenn in der Nähe des Feuchtbiotops Nässe, Kälte und Schmutz nicht noch zugenommen hätten. Ihren Laufpartner kümmerte das Wetter natürlich nicht, er war gegen Widrigkeiten der Natur immun. Leichtfüßig wich er den Pfützen aus, um sein gepflegtes Äußeres nicht zu besprenkeln. Gerade überlegte sie, ob es ihn wohl bewegen würde, die sinnlose Rennerei abzubrechen, wenn sie als schlammbespritztes Michelin-Männchen durch das Dickicht brach, nachdem sie sich in die Büsche geschlagen hatte. Wenn es wenigstens regnen würde! Dann hätte sie einen Grund umzukehren, ohne sich allzu sehr zu blamieren. Aber vielleicht gab es ja noch eine andere Möglichkeit, dem Horror ein Ende zu bereiten?
Wieder lag eine Pfütze auf ihrem Weg. Warum ausweichen, wenn man auch direkt reinpatschen konnte?
Jipiiiiiieh! Das machte einen Heidenspaß.
»Hey! Pass auf!«, rief Valentin noch. Zu spät. Die dunkle Brühe spritze nach allen Seiten und sprenkelte Valentins makelloses Outfit. Das war schon mal ein guter Anfang. Jetzt nur nicht nachlassen.
Leider zog Valentin ausgerechnet in diesem Moment das Tempo an. Sie folgte ihm prustend, aber von neuen Kräften beflügelt. Die nächste Pfütze ließ nicht lange auf sich warten, und Marlene sprang juchzend mittenrein. Hoppla! Die war wesentlich tiefer, als sie ausgesehen hatte. Doch jetzt war alles egal. Valentin versuchte noch, sich mit einem Satz ins feuchte Gras
zu retten, stolperte aber und bekam so erst recht eine gewaltige Ladung ab, während Marlene kichernd stehen blieb. Der Anblick einer Schlammspur, die seinen Rücken zierte wie das Fell eines Stinktiers, war aber auch zu komisch.
»Babe! Das ist wirklich kindisch.«
Täuschte sie sich, oder war er tatsächlich wütend? Immerhin blieb er nun stehen und stemmte die Hände in die Hüften. Der Wind
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