Vergiss mein nicht
dort sowieso nicht viel zu sehen. Teddy Patterson saß Lena gegenüber auf der anderen Seite des Betts in einem verstellbaren Lehnstuhl. Den Kopf zurückgelehnt schnarchte er mit offenem Mund, als gäbe es für ihn auf der Welt nicht das geringste Problem. Er hatte Lena höhnisch ins Gesicht gelacht, als sie die Vermutung äußerte, dass Grace mit dem, was mit ihren Kindern passiert war, etwas zu tun haben könnte. Patterson war ein Knastbruder und war von Natur aus misstrauisch gegenüber Cops. Da er vermutlich bis zum Hals mit in dieser Sache drinsteckte, würde er Lena natürlich nicht verraten, wo man seine Tochter festhielt. Teddy hatte Lena aufgefordert zu gehen, aber aus unerfindlichen Gründen hatte Grace verlangt, dass sie bleiben sollte. Er hatte gemurrt, sich aber schließlich damit abgefunden. Seine Frau hatte ihn so unter der Fuchtel, dass er nicht mal aufs Klo gehen würde, ohne vorher ihre Erlaubnis einzuholen. Grace Patterson schien der Mittelpunkt seines Lebens zu sein, und je länger Lena sich mit ihm in einem Raum aufhielt, desto deutlicher wurde ihr, dass ihm seine Kinder völlig egal waren.
Lena sah zu der schlafenden Grace Patterson hinüber und fragte sich, wieso diese Frau eine derartige Macht über ihre Familie hatte. Sie hatte sich der künstlichen Beatmung verweigert, trug aber eine Sauerstoffmaske. Rundherum wurde sie von Kissen gestützt, damit sie es möglichst bequem hatte, aber es gab keinen Zweifel daran, dass diese Frau einen überaus qualvollen Tod starb. In den letzten paar Tagen hatte sich ihr Zustand rapide verschlechtert. Vielleicht hatte der Aufenthalt im Krankenhaus das bewirkt, aber Grace hatte auch schon vorher wie tot ausgesehen. Die Haut ihres hohlwangigen Gesichts war fahl geworden. Ihre Augen schimmerten wässrig und tränten unentwegt.
Lena versuchte sich etwas bequemer hinzusetzen. Ihr Hintern fühlte sich an, als sei er mit einem Schlagholz bearbeitet worden, und ihre Hände und Füße schmerzten wie damals. Wie ihr vor einer Stunde klar geworden war, lag es daran, dass sie ständig die Hände zu Fäusten ballte und die Zehen krümmte. Ihr ganzer Körper war verspannt. Allein, weil sie mit den beiden Pattersons in einem Raum war, verkrampfte sich ihr der Magen. Am liebsten wäre sie den beiden an die Gurgel gegangen, um ihnen klarzumachen, dass jede Sekunde, die verging, eine weitere Scheußlichkeit für Lacey bringen konnte.
Teddy wirkte nicht gerade wie ein trauernder Ehemann, soweit Lena das beurteilen konnte. Er hatte ferngesehen, als seine Frau schlief, hatte bei Comedy-Serien gelacht und später einzelne Szenen in einem Actionfilm kommentiert.
» Der wird ihm gleich den Arsch versohlen«, sagte Teddy, oder: » Verpass dem Bruder einen gehörigen Denkzettel!«
Während der Nachrichten war Teddy jedoch eingedöst und schien jetzt tief zu schlafen. Nicht einmal als die Schwester hereingekommen war, um die Werte von Grace zu überprüfen, hatte er sich geregt.
So blieb Lena viel Zeit, Grace Patterson anzusehen und darüber nachzudenken, was in den vergangenen paar Tagen geschehen war. Mark befand sich in einem anderen Krankenhaus als seine Mutter, denn der Krankenwagen hatte ihn in die nächstgelegene Notaufnahme gebracht. Man konnte nicht sagen, wie es mit ihm weitergehen würde, aber keiner seiner Ärzte schien zu glauben, dass er sich von dem Selbstmordversuch wieder erholen würde.
Lena dachte an Mark. Er war letztendlich nur wie jeder andere Junge auch, sehnte sich nach Liebe, wünschte sich die Aufmerksamkeit seiner Mutter und nahm sie sich, wo es eben ging. Sie erinnerte sich daran, wie verkorkst sie in dem Alter gewesen war. Auf alles hatte sie extrem emotional reagiert und hatte überall um Zustimmung gebuhlt, außer bei Hank. Sie hatte sich darüber definiert, was eine kleine Gruppe von Außenseitern in der Schule von ihr hielt, und ihr Aussehen eingesetzt, um eine Aufmerksamkeit zu erregen, die man im Nachhinein nur ungesund nennen konnte.
Lena war fünfzehn gewesen, als sie zum ersten Mal mit Russ Fleming schlief, und während ihr Körper durchaus reif war für die physische Seite einer Beziehung, war sie seelisch vollkommen unreif gewesen. Russ war bereits zweiundzwanzig gewesen, womit Hank ein echt großes Problem gehabt hatte, aber Lena glaubte ihn zu lieben, und Russ hatte sie mit allen Tricks eingewickelt. Er war ein launisches Arschloch gewesen, und Lena hatte auf all seine Stimmungsschwankungen reagiert, hatte versucht, ihn eben noch zu
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