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Vergiss mein nicht

Vergiss mein nicht

Titel: Vergiss mein nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Slaughter
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besänftigen und dann im nächsten Moment zu verführen. Ihr Leben wurde zu einem ständigen Auf und Ab, je nachdem, wie Russ sie gerade behandelte. Wenn sie nicht heulend in ihrem Zimmer lag, dann saß sie auf der Veranda, die Hände zwischen die Knie geklemmt, und wartete nervös darauf, dass er endlich auftauchte. Sie war so jung und so dumm gewesen und hatte das, was Russ ihr gab, für Liebe gehalten.
    Im Rückblick wusste Lena, dass er nichts als ein paranoider Kiffer gewesen war, der es obergeil fand, einen Teenager zu bumsen, aber damals war Lena überzeugt gewesen, dass er das Beste war, was ihr je passiert war. Es war erstaunlich, wie dumm Kids sein konnten und wie sehr sie auf Liebe und Aufmerksamkeit angewiesen waren. Mark musste für seine Mutter leichte Beute gewesen sein. Er musste sich wie eine offene Wunde gefühlt haben; überzeugt, dass einzig und allein seine Mutter das heilen konnte. Und jetzt hatte all das, was er überlebt hatte, ihn dazu gebracht, sterben zu wollen. Lena verstand diese Widersprüchlichkeit nur zu gut.
    Grace atmete zischend ein und wachte auf. Langsam öffneten sich ihre Augen. Eine Zeit lang blickte sie an die Decke, als bemühte sich ihr Gehirn herauszufinden, wo sie war und was mit ihr geschah. Lena hätte ihr am liebsten ins Gesicht geschrien, dass sie im Sterben lag, aber das schien Grace zu wissen.
    Der gestärkte Kissenbezug raschelte, als sie Lena den Kopf zuwandte. Ihr Blick wanderte so weit hinunter, wie es ging, am Blutdruckmessgerät an ihrem Arm vorbei zur Morphiumpumpe neben dem Bett. Lena hatte ebenfalls eine solche Pumpe bedienen dürfen, als sie im Krankenhaus lag. Der Patient konnte die Morphiumgabe auslösen, indem er auf einen Knopf drückte, der mit einer Pumpe verbunden war. Die Maschine erlaubte es dem Patienten nicht, sich umzubringen, indem er den Knopf gedrückt hielt, aber sie vermittelte ihm doch das Gefühl, in gewissem Umfang das Ausmaß seiner Schmerzen kontrollieren zu können.
    Ohne dass ihr bewusst wurde, was sie da tat, streckte Lena den Arm aus und nahm den Knopf weg, bevor Grace ihn drücken konnte. Bis jetzt war Lena noch nicht mit Grace allein gewesen. Aber Teddy schien so fest zu schlafen, dass sie sich die Situation zunutze machte.
    » Suchen Sie das hier?«, flüsterte Lena und hielt das Gerät hoch.
    Graces Augen blitzten auf, und ihr Blick schoss hinüber zu Teddy.
    » Wollen Sie ihn aufwecken, damit er hören kann, was ich zu sagen habe?«, fragte Lena, immer noch mit gedämpfter Stimme. » Ich habe mit Mark gesprochen, Grace. Möchten Sie, dass Teddy erfährt, wie sehr Sie Ihren kleinen Jungen lieben?«
    Sie schluckte, aber das war auch alles.
    » Sie können doch sprechen«, sagte Lena. Noch vor ein paar Stunden hatte sie gehört, wie Grace nach einem Eisbeutel verlangt hatte. » Ich weiß, dass Sie sprechen können.«
    Ganz langsam griff Grace nach der Maske, die Nase und Mund bedeckte. Sie schob sie zur Seite und keuchte vor Anstrengung. » Geben…«, sagte sie. » Pumpe…«
    Lena wog den Bedienungsknopf in der Hand. Als sie das Gerät bei sich selbst angewendet hatte, war es ihr viel schwerer vorgekommen.
    Sie fragte: » Tut weh, hm?«
    Grace nickte mit schmerzverzerrtem Gesicht.
    » Wie wär’s mit einem Tauschgeschäft«, fragte Lena und schwenkte das Gerät wie ein verlockendes Stück Konfekt.
    Grace besaß die Unverfrorenheit, auch noch zu lächeln, und etwas in ihrem Blick schien zuzugeben, dass sie Lena unterschätzt hatte.
    » Sagen Sie mir, wo Lacey ist, und Sie können sich meinetwegen mit dem Morphium in die Hölle schießen.«
    Grace lächelte noch immer, aber ihr Blick war jetzt leerer. Sie wandte sich von Lena ab, um wieder an die Zimmerdecke zu starren. Lena sah, wie sehr die Hand der Frau zitterte, als sie sich an die Brust fasste. Der Arzt hatte angeordnet, dass stärkere Medikamente auf Abruf bereitstanden. Warum Grace nicht schon früher darum ersucht hatte, blieb ein Rätsel. Sie hatte nicht die geringste Chance, ihr Krankenbett lebend zu verlassen.
    Lena sagte: » Ich weiß, dass Sie es wollen, Grace. Ich weiß, dass Sie es brauchen.«
    Grace wandte sich ihr wieder zu. Sie atmete pfeifend ein und hauchte dann ein angestrengtes » Nein«.
    Lena stand auf. Sie hielt das Gerät in der geballten Faust und sprach weiterhin leise, um Teddy nicht zu wecken. » Ich weiß, dass Sie Mark vergewaltigt haben.«
    Das Lächeln wurde breiter. Grace schloss die Augen, und Lena hatte den Eindruck, dass sie in Gedanken

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