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Vergiss mein nicht

Vergiss mein nicht

Titel: Vergiss mein nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Slaughter
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auf dem Holzfußboden dämpfte ihre Schritte. An der Wand hingen gerahmte Kinderzeichnungen.
    Vorne neben einer geschlossenen Tür presste sich Nick mit dem Rücken an die Wand. Von dort kam die Musik, und Jeffrey konnte jetzt den Refrain verstehen: » I love you, love you, my sweet baby.«
    Nick drückte auf die Klinke und öffnete die Tür. Mit einer geschmeidigen Bewegung war er in der Hocke. Ein undefinierbarer Ausdruck verfinsterte kurz sein Gesicht, und er stand wieder auf. Mit gezogener Waffe betrat er das Zimmer, und Jeffrey folgte ihm. Sie sahen ein völlig von Spiegeln umgebenes Riesenbett vor sich. Die Bettwäsche war zerknüllt, als sei sie kürzlich noch benutzt worden, und im Zimmer hing ein Geruch, den Jeffrey nicht benennen mochte. Das Stereogerät stand auf dem Karton, in dem es geliefert worden war, und gab ekelhafte süßliche Musik von sich. Zwei Videokameras auf Stativen waren auf das Bett gerichtet, und die Wandspiegel reflektierten die Szenerie. Er stand da und wäre am liebsten sofort aus diesem Zimmer verschwunden. Währenddessen schaute Nick unter dem Bett nach und öffnete die Tür zu einem der Wandschränke.
    Wallace räusperte sich, um ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, und nickte dann in Richtung Korridor. Jeffrey verließ rückwärts das Zimmer, als Nick den letzten Wandschrank inspizierte und ihnen dann folgte.
    Wallace flüsterte dicht an Jeffreys Ohr: » Ich hab da einen Jungen reingehen sehen.« Er deutete dabei auf eine geschlossene Tür auf der anderen Flurseite.
    Nick zeigte auf eine Schnur, die dort von der Decke herabhing, wo sich die ausklappbare Treppe vom Bodenraum befand. Die Schnur bewegte sich nicht, aber das war keine Garantie dafür, dass sich niemand dort oben befand.
    Jeffrey ging am Bad vorbei, das klein und schmutzig war. Spielsachen lagen auf einer Kommode und in der leeren Wanne. Es gab keinen Duschvorhang und auch keinen Wandschrank, aber in die Korridorwand waren einige Schränke eingebaut. Jeffrey öffnete den ersten, aber er enthielt nichts Unerwartetes: Handtücher, Waschlappen, ein paar Windeln. Der Anblick der Windeln setzte ihm sehr zu, und zum ersten Mal an diesem Tag verlor er die letzte Hoffnung, Lacey Patterson lebend wiederzusehen.
    Nick legte ihm die Hand auf die Schulter, und Jeffrey hatte das Gefühl, dass ihm derselbe Gedanke gekommen war.
    Ein letztes Zimmer gab es noch in dem kleinen Haus, und diesmal ging Jeffrey voran. Wie Nick es zuvor auch getan hatte, lehnte sich Jeffrey mit seinem ganzen Gewicht gegen die geschlossene Tür, bevor er sie mit Wucht aufstieß. Mit gezogener Waffe und in geduckter Haltung glitt er um die Ecke, aber auch dieses Zimmer schien leer zu sein.
    Drei Doppelbetten standen an einer Wand zusammengeschoben, Bündel mit schmutziger Wäsche obenauf. Es gab weder Bettrahmen noch Bettgestelle mit Sprungfedern, sondern die Matratzen lagen auf dem nackten Boden. Man hatte Laken wie Leinwand auf einem Rahmen straff über die Fenster gespannt und vernagelt. Es gab nur einen Wandschrank, und Jeffrey rechnete mit dem Schlimmsten, als er herantrat. Von der Seite her öffnete er die Schranktür, aber es gab darin nur Regale voller Kartons. Sie waren mit roten Zahlen beschriftet, und Jeffrey zog einen von ihnen hervor. Er runzelte die Stirn, als er feststellte, dass er voller Fotos war. Dann warf er einen Blick auf die anderen Kartons und folgerte, dass sich die Zahlen wahrscheinlich auf das Alter der fotografierten Kinder bezogen. Dann registrierte er, dass einige Kartons auf dem obersten Regal die Beschriftung » 0–1« trugen.
    Ihm fiel ein, dass Wallace einen Jungen gesehen hatte, und er kniete sich vor das unterste Schrankfach. Ein paar Kartons waren verschoben, und die zog Jeffrey hervor. Er beugte sich hinunter und sah einen verängstigten kleinen Jungen, nicht älter als sechs Jahre, der den Kopf zwischen den Knien versteckt hatte. Der Junge sah Jeffrey und griff nach den Kartons, um sie wieder vor sich zu ziehen. Er war vor Angst so verstört, dass die Kartons fast schon so zitterten wie er.
    Jeffrey stand auf und wusste genau, dass er die Furcht in den Augen dieses Kindes nicht vergessen würde, solange er lebte. Am liebsten hätte er den kleinen Jungen aus seinem Versteck gezogen und ihm versichert, dass alles vorüber war, aber da war Jeffrey noch nicht sicher. Der Erwachsene oder die Erwachsenen, die das hier auf dem Gewissen hatten, befanden sich irgendwo in diesem Haus. Deswegen war es besser, den Kleinen dort zu

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