Vergiss mein nicht
musste blinzeln und versuchte, sich an die Situation zu gewöhnen, als auf der anderen Seite des Hauses ein Licht aufblitzte.
» Nick!«, rief er und robbte los. Auf Ellbogen und Füßen kämpfte er sich durch den engen Raum voran. Oben hörte er Schritte und betete, dass Nicks Mann auf der Rückseite des Hauses schnell genug reagierte.
Vor sich sah er ein Paar Schuhe durch eine schmale Öffnung verschwinden. Jeffrey folgte, so schnell er konnte, und stieß sich dabei den Kopf an einer Gasleitung. Er arbeitete sich vor zum Licht, drehte sich im letzten Moment und trat mit den Füßen gegen die Mauer, um das Loch größer zu machen. Der Mörtel bröckelte und die Backsteine brachen aus der Wand. Jeffrey drehte sich wieder, drückte sich durch die Öffnung und spürte einen schneidenden Schmerz, als die scharfkantigen Steine ihm die Hose aufrissen.
» Halt!«, schrie Robbins. Er war fast noch ein Kind, stand mit gespreizten Beinen da, die Waffe vor sich, direkt auf die Gestalt gerichtet, die auf ihn zugerannt kam.
Jeffrey war klar, was geschehen würde. Die rennende Gestalt prallte gegen Robbins, der die Waffe fallen ließ. Jeffrey rappelte sich auf und erstarrte, als er erkannte, wer da weglief.
» Dottie!«, schrie er.
Dottie blieb stehen, und ihre Blicke trafen sich. Sie hob die Hände, als wolle sie sich ergeben, rannte dann aber in Richtung Hinterhof davon. Jeffrey kniete sich hin, zog mit einer schnellen Bewegung die Waffe aus dem Knöchelholster und richtete sie auf sein Ziel. Doch er hielt inne, als Dottie über den Zaun sprang und zum Hof des Nachbarhauses lief, auf dem Kinder bei einer Schaukel spielten.
Jeffrey eilte hinter ihr her, bewegte die angewinkelten Arme wie Pumpenschwengel. Er nahm den Zaun wie eine Hürde, ohne aus dem Rhythmus zu kommen, rannte wie auf einem Slalomkurs um die Kinder herum. Er sah Dottie ins Haus stürzen, die Tür hinter sich zuschlagen. Jeffrey nahm jeweils zwei Stufen auf einmal, brach die Tür mit der Schulter auf, preschte in den Korridor und hätte beinahe eine Traube Kinder umgerannt. Ein Junge reichte ihm kaum bis zur Taille, und als er ihm auswich, knallte er mit voller Wucht gegen eine Wand. Sein Arm fühlte sich an, als stünde er in Flammen, und er ließ die Waffe fallen.
» Sir?«, sprach ihn eine junge Frau an. Sie mochte um die zwanzig Jahre alt sein, das dunkelbraune Haar hatte sie zu einem Pferdeschwanz gebunden. Sie wirkte völlig verstört.
Jeffrey kam hoch und hielt sich den Arm. Er merkte, dass er keuchend nach Luft rang. Mindestens zehn Kinder umringten ihn, und wie die junge Frau sahen sie Jeffrey allesamt genauso verschreckt und furchtsam an. Sein Herz wollte aussetzen, als ihm bewusst wurde, dass er sich in einer Kindertagesstätte befand. All diese Kinder, direkt in Dotties Nähe; er wollte sich nicht ausmalen, was das bedeuten konnte.
» Sir?«, wiederholte die Frau und stellte sich schützend vor ein paar Kinder.
Jeffrey zog seine Dienstmarke aus der Tasche und zeigte sie ihr. Er rang jetzt nach Luft, um mit der Frau sprechen zu können. » Wo…«, fing er an. » Die Frau…?«
» Wendy?«, fragte sie. » Wendy James?«
Jeffrey schüttelte den Kopf, weil er meinte, dass sie ihn nicht verstand.
» Sie ist doch gerade weg«, sagte sie. » Sie ist durchs Haus gerannt und…«
Jeffrey sprang auf, und die Kinder stoben auseinander, als er seine Waffe aufhob. Er rannte zur offenen Vordertür hinaus, auf den Hof und auf die Straße. Vor sich sah er einen Wagen, der nach rechts abbog, um sich in den dichten Verkehr auf der Interstate einzureihen. Weiß konnte er gewesen sein, aber auch braun oder grau. Viertürig, ein Coupé, ja sogar ein Kombi. Die Marke des Wagens konnte er nicht erkennen; er wusste nur, dass er verschwunden war.
Zwanzig
J effrey ging zum Anlegesteg hinter Saras Haus. Der Mond stand hoch über den Bäumen, und eine Brise wehte vom See herüber. Jeffrey stand im Gras und betrachtete Sara. Er spürte, wie der Stress langsam von ihm abfiel. Sara saß auf einem der Liegestühle, die Füße gekreuzt. Im Mondlicht erkannte Jeffrey, dass sie auf die Felsen im Wasser hinaussah. Die Hunde waren bei ihr, und eine Hand ruhte auf Bobs Kopf. Sie trug Shorts und eines von seinen alten Hemden. Jeffrey konnte den Blick nicht von ihr lassen, und er fand, dass sie sogar noch schöner aussah als am Abend zuvor.
Sie drehte sich um, als sie seine Schritte auf dem Steg hörte. Billy und Bob ließen die Köpfe gesenkt und starrten aufs Wasser
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