Vergiss mein nicht
Gedanken, wie kompliziert die nächsten Tage werden würden. Dabei war es eigentlich nicht ihre Aufgabe, mit Lacey Patterson zu sprechen. Er sagte: » Ich weiß, dass du es nicht tun musst, Sara, aber würde es dir etwas ausmachen?«
» Nein«, sagte sie ihm. » Natürlich nicht.«
» Warum schützen die Kinder überhaupt diese Leute, möchte ich wissen«, fragte Jeffrey, denn das konnte er einfach nicht verstehen. » Warum haben Lacey oder Jenny nicht mit einer ihrer Lehrerinnen gesprochen oder sind zu dir gekommen?«
» Weil es für sie zu schwierig ist«, erklärte Sara. » Ihre Eltern sind alles, was sie haben, alles, was sie kennen. Sie können ja nicht einfach von zu Hause ausziehen und sich Arbeit suchen. Sehr oft reden ihnen die Eltern ein, dass es normal sei oder dass ihnen keine Wahl bleibe.«
» Wie das Stockholm-Syndrom«, sagte er. » Wenn das Opfer sich in den Entführer verliebt.«
» Sehr richtig, das lässt sich vergleichen«, bestätigte Sara. » Die Eltern schaffen ein Muster, indem sie die Kinder zuerst missbrauchen und ihnen anschließend Eiscreme spendieren. Oder sie wecken Schuldgefühle bei ihnen, damit sie gefügig werden. Und manchmal tricksen sie sie ganz einfach aus. Die Kinder wissen ja nicht, dass so etwas nicht sein darf.« Sara seufzte. » Grundlage ist doch, dass Kinder ihre Eltern lieben. Sie wollen es ihnen recht machen. Sie wollen nicht, dass ihre Eltern Schwierigkeiten bekommen. Sie wollen zwar, dass diese Vorkommnisse aufhören, aber sie wollen keinesfalls Mutter und Vater verlieren.« Sie hielt inne. » Hier herrscht eine ebenso echte wie fatale Abhängigkeit. Die Eltern verursachen die Qualen, aber sie sind auch diejenigen, die sie wieder beenden.«
Sie fuhr fort: » Ich habe auch über das Baby nachgedacht.«
Er sah sie nicht an, sondern sagte nur: » Ja?«
» Das Baby von Grace war ein Mädchen. Vielleicht hat Jenny gemeint, sie beschützt das Baby. Vielleicht hat sie deshalb Grace geholfen, es loszuwerden.«
Er überlegte, dass Jenny bei der schrecklichen Angst, die sie vor Grace gehabt haben musste, wohl alles getan hätte, um deren Zorn zu entgehen. Schließlich sagte er: » Schon möglich.«
» Ich glaube wirklich, dass sie es deswegen getan hat«, sagte Sara voller Überzeugung. » Ich glaube, Grace hat sie gezwungen, ihr bei der Tötung des Babys zu helfen, und das hat Jenny so aus der Bahn geworfen, dass sie nur noch von dem Gedanken getrieben war, Mark, den Vater, umzubringen.« Sie klang so sicher, dass Jeffrey sie ansah. Sie litt unter dieser furchtbaren Geschichte genauso wie er.
Jeffrey stand auf und reckte die Arme in die Höhe. Er wollte nicht mehr an all das denken. Er wollte nicht mehr daran denken, dass es da draußen noch tausende andere Kinder gab, die wie Jenny und Mark von ihren Eltern missbraucht wurden. Er wollte nicht daran denken, dass Dottie Weaver Lacey Patterson gefangen gehalten hatte, um sich an dem Kind zu vergehen. Es musste etwas passieren. Jeffrey konnte einfach nicht mit der Vorstellung leben, dass Dottie Weaver weiterhin da draußen Kindern das antat, wonach ihr der Sinn stand. Er wollte nicht daran denken, dass sie vielleicht in einer anderen Kleinstadt auf die Jagd nach ihren Opfern ging.
Er sagte: » Es ist doch ziemlich kühl hier draußen.«
» Findest du die Brise nicht angenehm? Ich habe schon fast vergessen, dass sie sich so anfühlen kann.«
» Es macht dir nichts aus, hier draußen im Dunkeln zu sitzen?«
» Warum sollte es?«
Er sah sie an. » Manchmal denke ich, du bist der stärkste Mensch, den ich kenne.«
Sie lächelte und zerstrubbelte ihm das Haar.
Mit einem Seufzer ließ er sich nieder. Bis zu diesem Augenblick war ihm nicht bewusst gewesen, wie müde er war. Er legte den Kopf in den Nacken und sah hinauf in den Nachthimmel. Wolken verdeckten die Sterne, und es hatte den Anschein, als würde der August die Temperaturen langsam wieder sinken lassen. Bald würde der Herbst kommen, die Blätter würden von den Bäumen fallen, die Luft würde kühler werden, und Jenny Weaver würde nie wieder lebendig werden.
Jeffrey fragte: » Hast du den Leichnam freigegeben?«
» Ja.«
» Und was ist mit dem Baby?«
» Ich habe mit Brock gesprochen. Er organisiert die Trauerfeier. Und den Platz auf dem Roanoke-Friedhof.«
» Ich übernehme die Kosten.«
» Das habe ich schon erledigt«, sagte sie. » Gehst du mit mir zur Trauerfeier?«
» Ja«, versprach er.
» Paul Jennings hat mir aufgetragen, ich möge dich
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