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Vergiss mein nicht

Vergiss mein nicht

Titel: Vergiss mein nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Slaughter
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Dieses Mädchen«, fing Hank wieder an, als seien die vergangenen zehn Minuten gar nicht gewesen. » Is ’ne traurige Sache, was sie da gemacht hat.«
    » Stimmt«, erwiderte Lena achselzuckend. Am liebsten hätte sie nicht daran gedacht.
    » Manche bleiben eben auf der Strecke«, sagte Hank. » Bitte niemanden um Hilfe, bevor es zu spät ist.« Er hielt inne und fügte dann hinzu: » Bis es endgültig zu spät ist.«
    Sie wusste, worauf er hinauswollte, wusste, dass er einen Vergleich zog zwischen dem toten Mädchen und ihr. Auf der Rückseite von irgendeinem Scheißinfoblatt der Anonymen Alkoholiker stand die Anleitung für so ein Gespräch, gleich neben den Kästchen, in die man den Namen und die Telefonnummer des eigenen Tutors eintragen konnte.
    Lena schnauzte ihn an. » Wenn ich mich hätte umbringen wollen, hätte ich das gleich erledigt, als ich aus dem Krankenhaus kam.«
    » Von dir hab ich doch gar nicht geredet«, schnauzte Hank zurück.
    » Blödsinn«, zischte sie. Sie wartete eine Sekunde und sagte: » Ich dachte, du wolltest bald wieder zu dir nach Hause ziehen.«
    » Tu ich ja auch«, antwortete er.
    » Gut«, sagte sie, und für einen Moment war es ihr ernst damit. Hank wohnte bei ihr, seit sie aus dem Krankenhaus entlassen worden war, und Lena hatte es langsam satt, dass er ständig seine Nase in ihre Angelegenheiten steckte.
    » Ich muss mich auch um das Geschäft kümmern«, sagte er großspurig, als handele es sich bei seiner heruntergekommenen Spelunke am Rand von Reese um das Weltunternehmen IBM . » Ich muss da wieder hin. Ich mach mich noch heute Abend davon, wenn du willst.«
    » Bestens«, sagte sie, aber schon bei dem Gedanken, nachts allein zu Hause zu sein, bekam sie Herzrasen. Lena wäre ihn gerne los gewesen, aber sie wusste, dass sie sich keinen Moment lang sicher fühlen würde, wenn er nicht mehr da war. Sogar tagsüber, wenn sie arbeitete und Hank losfuhr, um in seiner Bar nach dem Rechten zu sehen, bekam sie die Panik, dass er einen Autounfall haben oder beschließen könnte, einfach nicht mehr zurückzukommen. Dass sie dann in ein dunkles, leeres Haus heimkehren müsste. Hank war mehr als nur ein unliebsamer Gast– er war ihr Schutzschild.
    Jetzt sagte er: » Ich hätte wirklich was Besseres zu tun.«
    Sie blieb stumm, aber im Geist wiederholte sie ihr Mantra: Bitte, verlass mich nicht. Bitte, verlass mich nicht. Bitte … Das Bedürfnis, es laut hinauszuschreien, schnürte ihr die Kehle zu.
    Der Wagen machte einen Satz nach vorn, als Hank aufs Gaspedal trat. Dann parkte er neben der Kapelle und ließ die Automatik mit Wucht in die Parkstellung einrasten. Die alte Limousine schaukelte mehrere Male vor und zurück.
    Er warf Lena einen Blick zu, und sie sah ihm an, dass er wusste, wie ausgeliefert sie ihm war. » Du möchtest, dass ich ausziehe? Na los, dann sag’s mir. Du hattest doch noch nie Schwierigkeiten, mich rauszuwerfen.«
    Sie biss sich fest auf die Lippe, weil sie Blut schmecken wollte. Aber das Fleisch gab nicht nach, stattdessen wackelte ein Vorderzahn des Provisoriums. Vor Entsetzen über diese plötzliche Erinnerung schlug sie eine Hand vor den Mund.
    » Was? Jetzt kannst du auch nicht mehr sprechen?«
    Ihren Gefühlen hilflos ausgeliefert würgte Lena an einem Schluchzer.
    Hank schaute in die andere Richtung und wartete ab, bis sie sich gefasst hatte. Er konnte einem ganzen Raum voller Fremder zuhören, die alle nach einer Spritze im Arm jammerten oder doppelte Whiskeys verlangten, aber Lenas Tränen hielt er einfach nicht aus. Sie hatte zudem das Gefühl, dass er sie wegen ihres Weinens hasste. Sibyl war sein Liebling gewesen, diejenige, um die er sich kümmern musste. Lena hingegen war die Starke, die niemanden brauchte. Die Verkehrung der Rollen hatte er nicht verkraftet.
    » Du musst in diese Therapie«, blaffte Hank sie an. Er war immer noch sauer. » Dein Chief hat es dir aufgetragen. Das ist so was wie ein dienstlicher Befehl, und du befolgst ihn nicht.«
    Wütend schüttelte sie den Kopf, die Hand immer noch vor dem Mund.
    » Du läufst nicht mehr. Du machst keinen Sport«, legte er von neuem los, als handele es sich um die Punkte einer Anklage gegen sie. » Du gehst um neun Uhr ins Bett und stehst am nächsten Morgen so spät auf, wie es nur irgend geht«, fuhr er fort. » Du tust nichts für dich und lässt dich gehen.«
    » Ich lasse mich nicht gehen«, protestierte sie kleinlaut.
    » Such dir einen Therapeuten, oder ich zieh noch heute aus, Lee.« Er

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