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Vergiss mein nicht

Vergiss mein nicht

Titel: Vergiss mein nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Slaughter
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legte die Hand auf ihre und zwang sie, den Kopf zu drehen. » Ich meine es ernst, Kind, todernst.«
    Plötzlich änderte sich seine Miene, und die harten Konturen seines Gesichts wirkten auf einmal wie weichgezeichnet. Er strich ihr Haar zurück und berührte ganz leicht ihre Haut. Hank versuchte, väterlich zu ihr zu sein, aber die sanfte Berührung erinnerte sie auf widerliche Weise daran, wie er sie berührt hatte. Die Zärtlichkeit war das Allerschlimmste gewesen: das sanfte Streicheln, wie er zartfühlend Zunge und Finger benutzt hatte, um sie einzulullen und gleichzeitig zu stimulieren, die qualvoll langsame Art, wie er sie gefickt hatte, als sei es keine Vergewaltigung, sondern Liebe.
    Lena zitterte. Sie konnte nichts dagegen tun. Schnell zog Hank seine Hand weg, als hätte er etwas Totes berührt. Lena zuckte zurück und schlug mit dem Hinterkopf gegen die Scheibe.
    » Mach das ja nie wieder«, warnte sie ihn, aber in ihrer Stimme lag die pure Angst. » Fass mich nicht an! Fass mich nie wieder so an! Hast du das verstanden?« Sie rang nach Luft und versuchte gleichzeitig, die bittere Galle zu schlucken, die ihr in die Kehle gestiegen war.
    » Ich weiß«, sagte er. Seine Hand war nicht weit von ihrem Rücken entfernt, berührte ihn aber nicht. » Ich weiß das ja. Entschuldige bitte.«
    Lena tastete nach dem Türgriff, verfehlte ihn jedoch mehrere Male, weil ihre Hände so schlotterten. Schließlich stieg sie aus dem Wagen und sog gierig die frische Luft ein. Die Hitze umschloss sie, und sie kniff die Augen zusammen– nur keine gedankliche Verbindung zwischen der Hitze und den Träumen aufkommen lassen, in denen sie auf dem Ozean getrieben war.
    Hinter sich vernahm sie eine sanfte und vertraute Stimme. » Hallo, Hank«, grüßte Dave Fine, der Pastor der Kirche.
    » Guten Morgen, Sir«, erwiderte Hank mit weitaus freundlicherer Stimme, als Lena sie jemals von ihm zu hören bekam. Diesen Tonfall hatte Hank nur gegenüber Sibyl benutzt. Für Lena hatte es stets nur harsche Kritik gegeben.
    Lena konzentrierte sich darauf, wieder kontrolliert zu atmen, bevor sie sich umdrehte. Lächeln konnte sie nicht, aber sie spürte, dass ihre Mundwinkel ein ganz klein wenig nach oben wanderten. Wahrscheinlich war das, was der Pastor zu sehen bekam, eher eine gequälte Grimasse.
    » Guten Morgen, Detective«, sagte David Fine. Die salbadernde Anteilnahme in seiner Stimme ging ihr weit mehr auf die Nerven als alles, was Hank im Auto gesagt hatte. In den vergangenen vier Monaten hatte Hank immer wieder versucht, David Fine auf Lena anzusetzen, hatte versucht, sie zu bewegen, mit dem Pastor zu sprechen. Der war nämlich auch noch Psychologe, behauptete er zumindest, und betreute abends Patienten. Lena hätte sich mit dem Mann noch nicht einmal übers Wetter unterhalten mögen, geschweige denn über das, was ihr angetan worden war. Von allen Menschen, mit denen Lena möglicherweise reden könnte, wäre ein Priester garantiert der letzte. Hank konnte doch nicht einfach vergessen haben, was mit ihr in jenem dunklen Raum geschehen war.
    Sie reagierte kurz angebunden mit einem » Pastor« und ging an ihm vorbei, die Handtasche an die Brust gepresst wie eine alte Dame im Gefecht des Schlussverkaufs.
    Sie spürte seine Blicke im Rücken und hörte, dass Hank Entschuldigungen murmelte, als sie sich von ihnen entfernte. Ein wenig schämte sich Lena dafür, zu Fine so unhöflich gewesen zu sein. Es war ja nicht seine Schuld– er war bestimmt ein netter Mann–, aber was sie auch sagte, sie würden sie ja doch nicht verstehen.
    Sie beschleunigte ihre Schritte und schaute starr geradeaus. Die Menschenmenge, die sich am Eingang versammelt hatte, machte ihr Platz, als sie Stufe für Stufe nahm und sich zwang, ganz langsam zu gehen. Am liebsten wäre sie in die Kirche hineingerannt. Bis auf Brad Stephens, der sie wie ein Hündchen anschaute, hatten alle anderen etwas Besseres zu tun, als sie die Treppe hinaufstieg. Matt Hogan, Partner von Frank Wallace, seit Lena für den Streifendienst eingeteilt war, konzentrierte sich auf das Anzünden einer Zigarette, als versuche er eine Kernfusion in seiner Hand.
    Lena hielt das Kinn in die Höhe gereckt und hatte den Blick abgewandt, damit niemand sie ansprach. Natürlich spürte sie, dass sie angestarrt wurde, und wusste auch, dass alle zu tuscheln anfangen würden, sobald man annahm, dass sie außer Hörweite war.
    Die Leute waren das Schlimmste an den Kirchgängen. Die ganze Stadt wusste, was mit

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