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Vergiss mein nicht

Vergiss mein nicht

Titel: Vergiss mein nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Slaughter
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Weaver war eine recht korpulente Frau mit dunkelbraunem Haar und olivfarbenem Teint. Ihr Haar war sehr lang, aber sie trug es in einem adretten Knoten oben auf dem Kopf. Das mochte vielleicht ein wenig altmodisch sein, aber die Frisur stand ihr gut. Sie hatte ein altersloses Gesicht, wie Jeffrey fand, das Gesicht von jemandem, der mit zehn Jahren schon so aussieht wie mit vierzig. Aber ihre Wangen waren schon eher Hängebacken, und sie schleppte ungefähr zehn Kilo Übergewicht mit sich herum. Oberhalb ihrer Nase war die Stirn tief zerfurcht, und das ließ sie, sogar wenn sie weinte, streng wirken.
    Jeffrey sah zu Lena, die neben ihm stand, die Arme vor der Brust verschränkt. Mit der ihr eigenen konzentrierten Intensität beobachtete sie Sara und Dottie. Da standen sie nun, die beiden emotional verletzlichsten Menschen des Reviers, und sollten herausfinden, was am vergangenen Abend geschehen war. Jetzt erst ging Jeffrey auf, dass er Sara aus rein egoistischen Motiven um diesen Gefallen gebeten hatte. Sie sollte als sein gesunder Verstand agieren.
    Jeffrey wandte sich an Lena und stellte fest: » Du musst es machen.«
    Sie reagierte nicht, aber das war nicht ungewöhnlich. Vor sechs Monaten wäre Lena Adams ganz versessen auf diese Zeugenvernehmung gewesen. Sie wäre durchs Revier stolziert und hätte damit angegeben, dass der Chief sie damit beauftragt hatte. Jetzt nickte sie nur.
    » Weil du eine Frau bist«, erläuterte er. » Und weil du das durchgemacht hast.«
    Sie sah ihn an, und die Leere in ihrem Blick traf ihn ins Mark. Vor zehn Jahren beim Training in der Polizeiakademie von Macon hatte Jeffrey zugesehen, wie Lena über den Hinderniskurs geflogen war, als hätte sie den Teufel im Leib. Mit ihrer Größe von eins zweiundsechzig und einem Gewicht von knapp sechzig Kilo war sie die kleinste Anwärterin in ihrer Gruppe, doch das glich sie durch pure Willenskraft aus. Durch ihre Hartnäckigkeit und ihren Elan war sie ihm damals aufgefallen. Wenn er sie jetzt betrachtete, fragte er sich, ob die alte Lena wohl je wieder zum Vorschein kommen würde.
    Lena brach den Blickkontakt ab und sah wieder zu Sara. » Ja, wahrscheinlich wird sie Mitleid mit mir haben«, sagte sie ausdruckslos. Dass sie scheinbar nichts empfand, nervte ihn. Seit sie in letzter Zeit offensichtlich zu diesem Roboterwesen mutiert zu sein schien, sehnte er sich manchmal nach ihren Zornesausbrüchen.
    » Geh behutsam vor«, riet er und reichte ihr die Akte. » Wir benötigen so viele Informationen, wie wir nur bekommen können.«
    » Sonst noch etwas?«, fragte sie, als unterhielten sie sich übers Wetter.
    Jeffrey verneinte, und sie ging ohne ein weiteres Wort. Er wandte sich wieder dem Spiegel zu und wartete darauf, dass Lena den Verhörraum betrat. Als die junge Frau in den Dienst zurückgekehrt war, hatte Jeffrey ihr geraten, eine Therapie zu machen, um mit dem fertigzuwerden, was ihr widerfahren war. Soweit er wusste, hatte Lena sich nicht danach gerichtet. Er musste sie deswegen zur Rede stellen. Das war ihm klar. Er wusste nur nicht, wie er das geschickt anstellen sollte.
    Die Tür knarrte, als Lena sie öffnete. Dann betrat sie den Raum, die Hände in den Taschen ihrer dunklen Chinos, zu denen sie ein nachtblaues Hemd trug. Ihr schulterlanges braunes Haar hatte sie fest hinter die Ohren geschoben. Mit dreiunddreißig Jahren war sie endgültig in ihr Gesicht hineingewachsen. Lena war schon immer attraktiv gewesen, aber in den letzten beiden Jahren hatte sie eine Weiblichkeit entwickelt, die vor allem den älteren Kollegen nicht entging.
    Jeffrey sah weg, weil er sich bei diesen Gedanken unwohl fühlte. Nach dem, was sie durchgemacht hatte, erschien es ihm unpassend, Lena unter diesem Aspekt zu betrachten.
    » Mrs Weaver?«, fragte Lena. Sie streckte die Hand aus, und Jeffrey verkrampfte innerlich ebenso wie Dottie Weaver, als ihrer beider Blicke an Lenas Handfläche hängen blieben. Die Narbe sah grässlich aus. Sara war die Einzige, die nicht zu reagieren schien.
    Lena zog die Hand zurück und ballte sie, als sei es ihr peinlich. » Ich bin Detective Lena Adams. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie leid mir Ihr Verlust tut.«
    » Danke«, brachte Dottie heraus. Ihr typisch näselnder Midwestakzent stand in starkem Kontrast zu Lenas gemächlich schleppendem Südstaatentonfall.
    Lena setzte sich gegenüber von Sara und Dottie an den Tisch. Sie faltete die Hände vor sich und lenkte dadurch wieder die Aufmerksamkeit auf ihre Narben. Jeffrey

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