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Vergiss mein nicht

Vergiss mein nicht

Titel: Vergiss mein nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Slaughter
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ein.
    Lena sagte: » Sie ist tot, Mark.«
    » Das weiß ich«, flüsterte er. Sein Blick huschte zu Jeffrey, aber dann sah er gleich wieder zu Boden. » Ich hab’s ja selbst gesehen.«
    » Willst du über sie reden, als ob sie eine Nutte war?«, fragte ihn Lena. » Willst du sie wirklich so in den Dreck ziehen?«
    Marks Kehlkopf hüpfte, als er wiederholt schluckte. Nach ein paar Minuten murmelte er etwas, das sie nicht verstand.
    » Was?«, fragte sie.
    » Sie war nicht übel«, sagte er und sah aus dem Augenwinkel zu Lena. Eine Träne lief ihm übers Gesicht, und er sah wieder hinüber zum Fenster. » Okay?«
    Lena nickte. » Okay.«
    » Sie hat mir immer zugehört«, fing er an. Seine Stimme war so leise, dass Lena sich anstrengen musste, um ihn zu verstehen. » Sie war klug, verstehen Sie? Sie las und so, und sie half mir manchmal bei den Aufgaben.«
    Lena lehnte sich auf der Couch zurück und ließ ihn weiterreden.
    » Die Leute denken Sachen über mich«, sagte er, sein Tonfall fast kindlich. » Sie denken, sie wissen Bescheid, aber vielleicht bin ich ja nicht so. Vielleicht steckt mehr in mir. Vielleicht bin ich ein Mensch.«
    » Natürlich bist du das«, versicherte ihm Lena, die dabei dachte, dass sie Mark wahrscheinlich besser verstand, als er ahnen konnte. Wann immer sie sich in der Öffentlichkeit bewegte, hatte Lena das Gefühl, die Person, die sie wirklich war, sei ausradiert worden. Sie war dann einzig und allein die junge Frau, die man vergewaltigt hatte. Manchmal fragte sich Lena, ob es nicht besser gewesen wäre, wenn sie gestorben wäre. Wenigstens würden die Leute sie dann nicht mehr nur als das Vergewaltigungsopfer sehen.
    Mark strich über seinen Bartansatz und holte Lena in die Vernehmung zurück. Er sagte: » Es gibt da Sachen, die ich gemacht hab, ja? Die ich vielleicht gar nicht machen wollte und sie vielleicht auch nicht…« Er schüttelte den Kopf, die Augen fest zusammengekniffen. » Manche Sachen, die sie gemacht hat…« Seine Stimme verlor sich. » Ich weiß, sie war dick. Aber sie war mehr als das.«
    » Was war sie, Mark?«
    Er trommelte mit den Fingern auf die Stuhllehne. Als er sprach, schien er die Kontrolle zurückgewonnen zu haben. » Sie hat mir zugehört. Wegen meiner Mum, verstehen Sie?« Er lachte traurig. » Zum Beispiel, als meine Mum uns gesagt hat, dass sie diesmal die beschissene Chemo nicht mitmachen würde, sondern lieber endlich sterben möchte. Jenny hat das verstanden.« Er fand einen losen Faden an der Stuhllehne und zupfte so lange daran, bis er ihn herausgezogen hatte. Mark war so auf den Faden konzentriert, dass Lena sich fragte, ob er ihre und Jeffreys Anwesenheit vergessen hatte.
    Lena warf Jeffrey einen Blick zu. Auch er hatte sich auf der Couch zurückgelehnt. Sie beide sahen jetzt Mark an und warteten darauf, dass er weiterredete.
    » Sie hat mir auch Nachhilfe gegeben, manchmal«, sagte er und drehte wieder an seinem Ring. » Sie war jünger als ich, aber sie wusste viel. Sie hat gerne gelesen.« Er lächelte, als sei eine Erinnerung aus weiter Ferne wiedergekehrt. Mit dem Handrücken fuhr er sich unter der Nase entlang. » Dann freundete sie sich mit Lacey an. Sie hatten wohl viel gemeinsam. Sie war so lieb zu mir.« Er schüttelte verzweifelt den Kopf. » Ich mochte sie einfach, weil sie so nett zu mir war.« Seine Lippen bebten. Er begann: » Als Mama krank wurde…« Wieder verstummte er. » Wir dachten, sie hätte es überstanden. Und dann ging es wieder los, rein ins Krankenhaus, raus aus dem Krankenhaus, und die ganze Zeit ging es ihr dreckig, so dreckig, dass sie manchmal gar nicht mehr gehen konnte. So dreckig, dass Daddy sie stützen musste, damit sie mal duschen konnte.« Er hielt inne. » Und dann sagte sie, sie würde das nicht mehr mitmachen, könnte die Chemo nicht mehr ertragen, könnte es nicht mehr aushalten, sich immerzu krank zu fühlen. Sagte, wir sollten sie nicht mehr in dem Zustand sehen müssen, aber wie meinte sie denn, dass wir sie sehen sollten, Mann? Tot?«
    Mark legte die Hände vor die Augen. » Jenny war einfach da, verstehen Sie? Sie war eben für mich da, nicht für jemand anders…« Er hielt inne. » Sie war so lieb, und sie interessierte sich für mich, und sie redete mit mir, und sie kapierte, was ich durchmachte, klar? Ihr ging es nicht darum, Cheerleader zu sein oder meinen Schulring zu tragen. Ihr ging es nur darum, für mich da zu sein.« Er ließ die Hände sinken und sah Lena in die Augen. » Es ging ihr

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