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Vergiss mein nicht

Vergiss mein nicht

Titel: Vergiss mein nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Slaughter
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nicht um Lacey oder um Dad. Sie hielt mich für gut. Sie fand, dass ich etwas wert war.« Er ließ den Kopf in die Hände sinken und weinte.
    Auf einmal registrierte Lena die Uhr an der Wand. Sie tickte so laut, dass es in den Ohren wehtat. Jeffrey saß völlig regungslos und stumm neben ihr. Er verstand sich darauf, sich völlig im Hintergrund zu halten und die Initiative ganz und gar ihr zu überlassen. Es war wie früher, Lena an der Seite von Jeffrey. Das war die Lena, die genau wusste, wie sie ihren Job anpacken musste, die Lena, die die Lage im Griff hatte. Sie atmete tief durch, zog die Schultern hoch, bis die Lungen sich mit Luft gefüllt hatten. In diesem Augenblick, in diesem Raum, war sie wieder sie selbst. Zum ersten Mal seit Monaten war sie wieder Lena.
    Sie ließ eine ganze Minute verstreichen, bevor sie fragte: » Erzähl mir, was geschehen ist.«
    Er schüttelte den Kopf. » Es ist zu schlimm«, sagte er. » Zu schlimm schiefgelaufen.« Er beugte sich vor, bis sein Brustkorb fast die Knie berührte, das Gesicht vor Schmerz verzerrt, als habe ihn jemand getreten. Dann bedeckte er wieder das Gesicht mit den Händen und schluchzte.
    Bevor ihr klar wurde, was sie tat, kniete Lena schon auf dem Fußboden neben dem Jungen und hielt seine Hand. Tröstend strich sie ihm über den Rücken. » Alles in Ordnung«, beruhigte sie ihn.
    » Ich liebe sie«, flüsterte er. » Auch nach dem, was sie getan hat, liebe ich sie noch immer.«
    » Ich weiß«, sagte Lena und rieb ihm den Rücken.
    » Sie war wütend auf mich«, sagte Mark, noch immer schluchzend. Lena zog ein Kleenex aus der Schachtel und gab es ihm. Er putzte sich die Nase und flüsterte: » Ich hab ihr doch gesagt, dass wir aufhören müssen.«
    » Warum musstet ihr aufhören?«, flüsterte Lena zurück.
    » Ich hätte nie gedacht, dass sie mich brauchen würde, verstehen Sie? Ich dachte, sie wäre stärker als ich. Stärker als alle anderen.« Seine Stimme versagte. » Aber das war sie nicht.«
    Lena streichelte ihm den Nacken, versuchte, ihn zu beruhigen. » Was ist passiert, Mark? Warum hat sie dich so gehasst?«
    » Sie glauben, dass sie mich hasst?«, fragte er und suchte die Antwort in ihrem Blick. » Sie glauben wirklich, dass sie mich hasst?«
    » Nein, Mark«, sagte Lena und schob ihm die Haartolle aus dem Gesicht. Er war in die Gegenwartsform gewechselt, wie es viele Menschen tun, wenn sie nicht akzeptieren können, dass eine geliebte Person gestorben ist. Lena hatte festgestellt, dass sie häufig dasselbe tat, wenn sie von Sibyl sprach. » Natürlich hasst sie dich nicht.«
    » Ich habe ihr doch gesagt, dass ich es nicht mehr machen würde.«
    » Was?«
    Er schüttelte abweisend den Kopf. » Es ist alles so sinnlos«, sagte er und schüttelte weiter den Kopf.
    » Was soll sinnlos sein?«, fragte Lena. Sie wollte ihn dazu bringen, sie anzusehen. Das tat er auch, und einen erschreckenden Moment lang dachte sie, er würde versuchen sie zu küssen. Schnell verlagerte sie ihr Gewicht auf die Fersen und hielt sich an der Stuhllehne fest, um nicht zu fallen. Mark musste ihre geschockte Miene gesehen haben, denn er wandte sich von ihr ab und nahm sich noch ein Papiertaschentuch. Während er sich die Nase putzte, schaute er zu Jeffrey hinüber. Lena sah keinen von beiden an. Ihr ging nur durch den Kopf, dass sie eine Grenze überschritten hatte, aber was für eine Grenze und wo sie gezogen war– sie hatte keine Ahnung.
    Mark sprach mit Jeffrey, und seine Stimme klang wieder selbstbewusster. Das Kind, das gerade zusammengebrochen war, existierte nicht mehr. Der trotzige Teenager war wieder zum Vorschein gekommen. » Noch was?«
    » Jenny hat gerne gelernt?«, fragte Jeffrey.
    Mark zuckte die Achseln.
    Lena sagte: » Hat sie sich für andere Kulturen interessiert oder für andere Religionen?«
    » Weswegen sollte sie wohl?«, antwortete Mark zornig. » Wir wären doch eh nie aus dieser Scheißstadt rausgekommen.«
    » Das heißt also nein?«, sagte Lena.
    Mark schürzte die Lippen, fast als wolle er ihr einen Kuss zuwerfen, und sagte: » Heißt es.«
    Jeffrey verschränkte die Arme vor der Brust und übernahm wieder. » So um Weihnachten herum hast du die Freundschaft mit Jenny beendet. Warum?«
    » Hatte sie satt«, erwiderte er achselzuckend.
    » Mit wem sonst verbrachte Jenny ihre Zeit?«
    » Mit mir«, sagte Mark. » Mit Lacey. Das war’s.«
    » Andere Freunde hatte sie nicht?«
    » Nein«, antwortete Mark. » Und wir waren eigentlich keine

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