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Vergiss mein nicht

Vergiss mein nicht

Titel: Vergiss mein nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Slaughter
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sah.
    Aber trotz alledem hatte er auch etwas Geschlechtsloses. Mark Patterson war ein sechzehnjähriges Kind, kurz davor, ein Mann zu werden. Auf die androgyne Weise, die jetzt bei Teenagern so modern war, wirkte er jungenhaft. Als Lena zur Highschool ging, hatten die Jungen noch alles Mögliche angestellt, um männlicher zu wirken. Heutzutage gefiel es ihnen, die Geschlechterrollen nicht so deutlich zu kennzeichnen.
    » Hier ist er«, bellte Patterson und stieß Mark mitten ins Zimmer. Der Mann wirkte noch wütender als vorher, und er hatte die Fäuste fest geballt, als würde er seinen Sohn am liebsten verdreschen. Irgendwie erinnerte Patterson Lena an Hank. Die Grobheit, mit der er Mark herumstieß, und sein böser Ton hätten von Hank vor zwanzig Jahren kommen können.
    » Wir fahren jetzt mal los«, forderte Patterson seine Frau auf. » Holen deine Pillen aus der Apotheke.«
    » Teddy«, sagte Grace. Sein Name blieb ihr fast im Hals stecken. Aber auch Lena fragte sich, wie ein Mann mit geradezu angeborenem Misstrauen gegenüber der Polizei seinen einzigen Sohn mit zwei Bullen allein zurücklassen konnte. Von Gesetzes wegen hätte Teddy nämlich bei der Vernehmung anwesend sein dürfen. Da überließ er doch tatsächlich seinen Sohn Mark dem eigenen Schicksal.
    Das wollte Jeffrey sich offenbar zunutze machen. » Mr Patterson«, begann er. » Haben Sie etwas dagegen, wenn wir für morgen einen Termin vereinbaren, um Mark eine Blutprobe zu entnehmen?«
    Pattersons Augenbrauen schnellten in die Höhe, doch er nickte. » Sagen Sie nur, wann er kommen soll, und er wird da sein.«
    Grace sagte: » Teddy.«
    » Fahren wir«, befahl Patterson seiner Frau. » Die Apotheke macht gleich zu.«
    Egal wie viel Macht Grace vielleicht über ihren Mann hatte, so hatte sie doch gelernt, wann sie diese Macht tunlichst nicht einsetzte. Sie stand auf und reichte zuerst Jeffrey, dann Lena die Hand. Grace hatte die ganze Zeit über kein Wort mit Lena gewechselt, aber sie hielt deren Hand länger fest, als es einer höflichen Verabschiedung entsprach.
    » Geben Sie auf sich Acht«, mahnte sie Lena.
    Bevor sie ihrem Mann nach draußen folgte, blieb Grace vor ihrem Sohn stehen und gab ihm einen Kuss auf die Wange. Sie war ein paar Zentimeter kleiner als er und musste sich auf die Zehenspitzen stellen.
    » Wiedersehen«, sagte Grace zu ihm und tätschelte seine Schulter.
    Mark sah ihr nach und berührte die Wange, auf die seine Mutter ihn geküsst hatte. Dann betrachtete er seine Finger, als sei der Kuss darauf zu sehen.
    » Mark?«, sagte Jeffrey, und der Junge reagierte.
    » Sir?«, sagte er, das Wort in die Länge ziehend. Er war zu schlaksig, um still stehen zu können, sodass er ein wenig schwankte.
    » Bist du stoned?«
    » Ja, Sir«, antwortete er und stützte sich sicherheitshalber auf eine Stuhllehne. Lena fiel der große goldene Schulring an seinem Finger auf. Der rote Stein reflektierte das Licht, und sie vermutete, dass der Ring mit seinen Initialen verziert war. » Stecken Sie mich jetzt ins Gefängnis?«
    » Nein«, sagte Jeffrey. » Ich möchte mit dir darüber sprechen, was gestern Abend geschehen ist.«
    » Was gestern Abend geschehen ist«, wiederholte er nuschelnd. » Ich möchte mich bei Ihnen dafür bedanken, dass Sie die Richtige erschossen haben.«
    Jeffrey zog sein Notizbuch hervor und blätterte eine leere Seite auf. Lena sah zu, wie er seinen Stift nahm und Marks Namen oben auf die Seite schrieb. Dabei fragte er: » Hab ich das?«
    Mark grinste träge. Er ging um den Stuhl herum und setzte sich. Dabei ließ er die Luft durch den Mund ausströmen. Sogar das hatte etwas Sexuelles, und statt abgestoßen zu sein, was Lena eigentlich erwartet hätte, war sie eher fasziniert. Sie war noch keinem erwachsenen Mann begegnet, der sich so wohl in seiner Haut zu fühlen schien, geschweige denn einem Teenager.
    Jeffrey fuhr gleich schweres Geschütz auf. » Bist du der Vater des Babys von gestern Abend?«
    Mark hob seine Augenbrauen auf dieselbe Weise wie vorhin sein Vater. » Nein«, sagte er gelassen.
    Jeffrey versuchte es anders: » War deine Schwester gestern Abend mit dir zusammen?«
    » Nee, Mann«, antwortete Mark. » Meine Mum, wissen Sie. Der geht es nicht so toll. Lacey blieb deswegen zu Hause.« Achselzuckend fuhr er fort: » Sie bittet nicht so oft darum, versteh’n Sie? Meine Mum hält uns lieber fern von der Tatsache, dass sie am Abkratzen ist.«
    Er schluckte, drehte den Kopf zur Seite und sah aus dem Fenster.

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