Vergiss mein nicht
Sein Ringen um Fassung war offenbar erfolgreich gewesen, denn als er Jeffrey wieder anschaute, war auch das Grinsen zurückgekehrt. Es war aber nicht nur sein Aussehen, irgendetwas war ungewöhnlich an dem Jungen. Ein Schatten schien auf ihm zu liegen, und das nicht nur wegen der Ereignisse des gestrigen Abends. Er hatte die Ausstrahlung eines Menschen, der beschädigt worden war, und das kannte Lena. Er wirkte zerbrechlich, aber gleichzeitig auch leicht gefährlich. Keineswegs so bedrohlich wie sein Vater. Wenn überhaupt, schien Mark Patterson höchstens für sich selbst eine Gefahr zu sein.
Zum ersten Mal, seit sie im Trailer waren, fand Lena ihre Stimme wieder. » Magst du deine Schwester?«, fragte sie.
» Sie ist eine Heilige«, sagte Mark und drehte den Ring an seinem Finger. » Daddys kleines Mädchen.«
» Ging es ihr in letzter Zeit denn gut?«, fragte Lena. » Sie war doch nicht krank, oder?«
Mark starrte Lena unverhohlen an. Aber es lag nichts Feindseliges in seinem Blick. Er schien nur neugierig auf sie zu sein. Er sagte: » Heute Morgen war sie noch ganz gut drauf. Sie müssen sie schon selbst fragen.«
» Warum war Jenny Weaver so wütend auf dich?«
Er hob die Schultern, hielt sie einen Moment so und ließ sie dann fallen. Lena schaute zu, wie er sein T-Shirt hochschob und sich gedankenverloren über den flachen Bauch strich. » Wissen Sie, auf mich sind viele Mädchen wütend.«
Jeffrey fragte: » Hattest du dich mit ihr eingelassen?«
» Was, etwa eine Beziehung?« Er schüttelte langsam den Kopf. » Nee. Ich hab sie ein paar Mal flachgelegt, aber das war nichts Ernstes.« Er hob die Hand, um die nächste Frage abzuwehren. » Das hat sich alles damals abgespielt, als ich fünfzehn war.«
Lena informierte ihn: » Es muss eine Altersdifferenz von mindestens fünf Jahren bestehen, damit von Unzucht mit Minderjährigen die Rede sein kann.«
Jeffrey rutschte auf der Couch hin und her, offenbar gar nicht angetan davon, dass Lena Mark diese Information geliefert hatte. Er hätte diese Drohung gebrauchen können, um Mark unter Druck zu setzen. Jetzt musste er sich etwas anderes einfallen lassen.
Er fragte: » Wann hattest du das letzte Mal Sex mit ihr?«
» Weiß nich«, sagte Mark, der immer noch seinen Bauch streichelte. Auf der Haut zwischen Daumen und Zeigefinger hatte er eine kleine Tätowierung. Lena erkannte ein schwarzes Herz mit einem umgekehrten weißen Herz im Zentrum. Mark hatte sie sich offenbar selbst gemacht, denn das Symbol sah so stümperhaft aus wie die Kugelschreibertätowierungen, die sein Vater aus dem Knast mitgebracht hatte.
» Hattest du oft Sex mit ihr?«, fragte Lena.
Achselzuckend sagte Mark: » Ziemlich oft.« Jetzt zupfte er an dem schmalen Haarstreifen zwischen Bauchnabel und Schamhaar. Dabei sah er Lena provozierend an. Sie wiederum schaute zu Jeffrey, denn sie fragte sich, was er von Marks Benehmen hielt. Aber Jeffrey sah gar nicht hin, sondern zeichnete die Tätowierung in sein Notizbuch.
» Na«, sagte er, als er das schwarze Herz ausmalte. » Dann schätz doch mal.«
» Vielleicht vor einem Jahr oder so?«, bot Mark an. » Sie wollte es, Mann. Sie hat mich angebettelt.«
Jeffrey stellte seine Zeichnung fertig und blickte auf. » Hier geht es nicht darum, dich wegen Vergewaltigung dranzukriegen, Mark. Und wenn du die Ziegen auf eurem Hinterhof bumst, ist mir das völlig egal. Du weißt, worum es hier geht.«
» Es geht darum, dass sie mich abknallen wollte«, sagte er. » Und warum.«
» Genau«, sagte Lena. » Wir wollen der Sache auf den Grund gehen, Mark. Es geht hier um Jenny und aus welchem Grund sie das getan hat, was sie getan hat.«
Mark grinste Lena träge an. » Mensch, Detective, Sie sind richtig hübsch.«
Lena war peinlich berührt und fragte sich, was für Signale sie dem Jungen gegeben haben mochte. Sex war das Letzte, was sie im Sinn hatte, und sie fand Mark auch eher perfekt als attraktiv. Sein Aussehen war das eines Filmstars. Er war einfach zu schön, um wahr zu sein. Er erweckte dasselbe Interesse in ihr wie ein schönes Gemälde oder eine edle Skulptur.
» Du siehst auch nicht gerade schlecht aus, Mark«, konterte sie mit schneidender Stimme. Teddy Patterson konnte vielleicht ein mieses Spiel mit ihr treiben, aber dieses frühreife Bürschchen bestimmt nicht. » Deswegen wundere ich mich ja auch wegen Jenny. Sie war nicht gerade eine von der Sorte, die zur Schönheitskönigin gewählt wird. Konntest du dir nicht was Heißeres
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