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Vergiss mein nicht

Vergiss mein nicht

Titel: Vergiss mein nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Slaughter
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für sie tat.
    In ungefähr sechs Meilen Entfernung vom Haus der Tollivers hatte es ein Geschäft namens Cat’s gegeben, in dem Jeffrey und alle anderen Kids auch einkauften. Es war einer von jenen Läden, in denen es Milch, Tabak, Benzin und Köder gab. Der Fußboden bestand aus grob behauenen Bohlen, über deren Spalten und Risse man ständig stolperte, wenn man nicht genau hinschaute, wohin man die Füße setzte. Die Decke war niedrig und braun von Nikotin und Wasserflecken. Kühltruhen, voll mit Eis und Coca-Cola-Flaschen, säumten den Eingang, und eine übergroße Reklametafel für Moon Pie stand an der Kasse. Die Benzinpumpen vor der Tür läuteten nach jeder abgegebenen Gallone.
    Während Jeffrey in Auburn war, hatte Cat das Zeitliche gesegnet, und Possum, der im Laden arbeitete, hatte das Geschäft für Cats Witwe weitergeführt. Sechs Jahre später hatte er die Witwe ausgezahlt und den Laden in Possum’s Cat’s umgetauft. Als Sara das Namensschild an dem baufälligen Geschäft sah, war sie begeistert und wies auf das Gedicht von T. S. Eliot hin. Jeffrey hätte sich am liebsten unter seinem Auto versteckt, aber Sara hatte nur gelacht, als sie die Wahrheit erfuhr. Und insgesamt hatte sie sich an jenem Wochenende gut amüsiert und schon am zweiten Tag mit Possum und seiner Frau am Pool gelegen und sich Jeffreys Jugendsünden erzählen lassen.
    Heute konnte Jeffrey darüber schmunzeln, aber damals war er doch ein wenig verärgert darüber gewesen, die Zielscheibe ihrer Witze gewesen zu sein. Sara war die erste Frau, die sich auf diese Weise über ihn lustig gemacht hatte, und– um der Wahrheit die Ehre zu geben– genau das war es wohl gewesen, womit sie ihn geangelt hatte. Seine Mutter hatte immer schon gesagt, dass er die Herausforderung liebte.
    Als er auf den Parkplatz von Possum’s Cat’s einbog, fiel Jeffrey all das wieder ein, und er dachte, dass Sara auf jeden Fall eine Herausforderung war. Es hatte sich seit Cats Tagen viel verändert, und noch mehr, seit Jeffrey das letzte Mal in der Stadt gewesen war. Das Einzige, was immer gleich blieb, war das große Emblem der Auburn University über der Tür. Alabama war ein Staat, der durch seine beiden Universitäten geteilt wurde: Auburn und Alabama. Es gab nur eine wichtige Frage, die ein Einheimischer dem anderen stellte: » Für wen bist du?« Jeffrey hatte erlebt, dass Raufereien ausbrachen, wenn jemand im falschen Teil der Stadt die falsche Antwort gab.
    Rechts vom Laden befand sich eine Kindertagesstätte, die nach Jeffreys letztem Besuch entstanden war. Zur Linken lag Madam Bell’s, wo Possums Frau Darnell residierte. Wie Cat war auch Madam Bell schon vor langer Zeit gestorben. Jeffrey vermutete, dass Nell dort nur weitermachte, um etwas zu tun zu haben, während die Kinder in der Schule waren. Er hatte während der Highschool-Zeit immer mal wieder was mit Nell gehabt, bis Possum ernsthaft um sie geworben hatte. Jeffrey konnte sich kaum vorstellen, dass das rastlose Mädchen von damals mit diesem Leben glücklich war, aber es gab ja die merkwürdigsten Dinge. Außerdem war Nell im dritten Monat schwanger gewesen, als sie alle von der Schule abgingen. Eine große Wahl hatte sie wohl kaum gehabt.
    Um nicht einen der Parkplätze zu blockieren, stand Jeffrey mit laufendem Motor vor Bell’s. Lynyrd Skynyrds » Sweet Home Alabama« klang leise aus den Lautsprechern. Er hatte die Kassette in dem Karton unterm Fenster seines Zimmers gefunden und war jäh von Nostalgie überfallen worden, als die ersten Takte eines seiner damaligen Lieblingssongs an sein Ohr drangen. Es war schon eigenartig, dass man etwas so lieben, aber doch auch vergessen konnte, sobald man es nicht mehr direkt vor der Nase hatte. So ging es ihm auch mit dieser Stadt und den Freunden, die er hier hatte. Wieder mit Possum und Nell zusammen zu sein würde ihm vorgaukeln, als sei in den vergangenen zwanzig Jahren nicht das Geringste geschehen. Jeffrey wusste nicht, was er davon halten sollte.
    Er wusste jedoch, dass der Besuch vor zehn Minuten bei seiner Mutter im Krankenhaus in ihm den Wunsch geweckt hatte, so schnell wie möglich nach Grant zurückzukehren. Er hatte keine Luft mehr bekommen, als sie sich bei der Umarmung an ihn klammerte. Und dann ihre Art, Sätze nicht zu beenden, um Dinge zu sagen, indem sie sie nicht aussprach. May Tolliver war nie eine glückliche Frau gewesen, und manchmal glaubte Jeffrey fast, dass sein Vater die Gaunereien auch deswegen vermasselt hatte, um

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