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Vergiss mein nicht (German Edition)

Vergiss mein nicht (German Edition)

Titel: Vergiss mein nicht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Sieveking
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oder habe nicht genug geübt. Kurz vor der Abfahrt zur Probe stellte sie auf einmal fest, dass sie sich einige Tage zuvor in den Finger geschnitten habe und deshalb nicht spielen könne. Malte empfand das als faule Ausrede und organisierte eine Musikstudentin, die Gretel beim Üben ihres Geigenspiels unterstützen sollte. Doch Gretel lehnte das ab: »Ich kenne die doch gar nicht.« 20 Euro die Stunde seien auch viel zu teuer und zum Üben bräuchte sie keine Hilfe.
    Wie mühsam musste es für meinen Vater sein, ständig gegen den Willen seiner Frau zu arbeiten! Ich war erstaunt, mit wie viel Energie und Fantasie er versuchte, Anregungen für sie zu schaffen. So hatte er angefangen, Flötenunterricht zu nehmen, um mit Gretel gemeinsam musizieren zu können. Außerdem hatte er sich in die Gartenarbeit gestürzt, in der Hoffnung, Gretel würde daran auch Freude finden. Aber es schien, als ob er mit all seinen Ideen zu spät kam. Gretel machte keine Anstalten, sich durch Maltes schiefes Flötenspiel zum Geigen animieren zu lassen.
    »Und überhaupt das ganze Haus«, seufzte mein Vater amTelefon, »sie hat sich früher um das Haus gekümmert. Dass es für sie gut wäre, zu renovieren, anzustreichen oder Blumen zu pflücken, eine handwerkliche Beschäftigung zu finden: Das sieht sie nicht ein.« Bisweilen klang bei all seinem Elan auch ein tiefer Fatalismus bei ihm durch: »Wenn Gretel so weitermacht, lebt sie vielleicht noch ein Jahr. Sie kann irgendwann nicht mehr sprechen, nicht mehr aufs Klo gehen, und was dann?«
    Mich erschreckte dieser düstere Ton: War es wirklich schon so weit? Ich konnte mir das nicht vorstellen, und Maltes Pessimismus deckte sich auch nicht mit dem Eindruck meiner Schwestern. War mein Vater mittlerweile selbst depressiv geworden? Übers Telefon konnte ich das nicht beurteilen. Ich musste hinfahren und mir ein Bild der Lage verschaffen.
    Im folgenden Herbst 2008, über zwei Jahre nach Gretels verhängnisvoller Hüftoperation, zitterte die Welt angesichts der Bankenkrise, während ich mit dem Zug in Deutschlands Finanzhauptstadt Frankfurt einfuhr. Ich sah die glitzernden Spiegeltürme der Deutschen Bank und dachte, dass auch ein nicht-dementer Mensch die Welt nicht im Entferntesten verstehen konnte. Beim Zeitunglesen wurde mir schwindlig von den unvorstellbaren Geldsummen. Mein Vater hatte mir von der Teilschuld der Mathematiker erzählt, die die Computerprogramme entwickelt hatten, aufgrund von deren Prognosen und Hochrechnungen die Transaktionen durchgeführt wurden, die jetzt die Banken und das Weltwirtschaftssystem an den Rand des Abgrunds gebracht hatten.
    Eigentlich wollte mich mein Vater am Frankfurter Hauptbahnhof abholen, aber jetzt erhielt ich per SMS die Nachricht, dass er sich verspätete, sodass ich mich entschloss, mit der S-Bahn weiterzufahren. Der trübe Herbstnachmittag war noch düsterer geworden, als ich eine halbe Stunde später inder ›Kur- und Kongressstadt‹ Bad Homburg anlangte. Als mich auch dort niemand erwartete, machte ich mich zu Fuß auf den Weg. Da fiel mir das Auto meiner Eltern auf, das im absoluten Halteverbot einer Bushaltestelle stand. Zuerst sah ich nur meinen Vater am Steuer sitzen, aber beim Näherkommen bemerkte ich meine Mutter auf der Rückbank. Ich öffnete die Beifahrertür und begrüßte meinen Vater, der den Gruß mit einem leicht gequälten Lächeln erwiderte. Dann beugte ich mich zu meiner Mutter nach hinten, die etwas zerzaust wie ein ungezogenes Mädchen auf dem Rücksitz schmollte. »Hallo Gretel! Wie schön, dass du gekommen bist!«
    »Naja, so schön ist das nicht«, nuschelte sie trotzig, »aber besser als nix!«
    Ich lächelte ihr zu, und Malte fuhr los. Er habe sich verspätet, da Gretel und er vor der Abfahrt einen kleinen Kampf ausgetragen hätten. Sie hatte ihm partout nicht geglaubt, dass sie ihren Sohn am Bahnhof abholen sollten.
    »Und als wir dann endlich im Auto saßen, wollte sie sich nicht anschnallen.«
    »Bei dir piepst es wohl!«, protestierte Gretel von hinten, und wir lachten alle.
    Der Abend verlief friedlich und jeglicher Groll schien verflogen. Mein Vater hatte Abendessen gemacht – seine Rolle als Koch hatte er mittlerweile angenommen; er sah die Küche als neues Forschungsgebiet, wo es laufend neue Rezepte zu erfinden galt: Heute stand Kabeljau mit Ananas auf dem Menü, als Nachtisch gab es Quittenbrot mit Minze aus dem Garten.
    Ich hatte zur Aufheiterung Gretels Lieblingsserie Fawlty Towers mitgebracht, war mir aber

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