Vergiss mein nicht (German Edition)
sie sich ihre Beerdigung vorstellt?«, fragten wir Malte. Er zuckte mit den Achseln: »Sicherlich nicht kirchlich.«
Gretel war als Studentin aus der Kirche ausgetreten und hatte mir einmal erklärt, dass sie sich schon als Kind darüber geärgert hatte, dem Sohn Gottes ständig dafür dankbar sein zu müssen, dass er für sie gestorben sei. Sie hatte ihn ja bestimmt nicht darum gebeten, sich kreuzigen zu lassen!
Plötzlich fiel mir ein, dass mir Gretel doch etwas zum Thema Bestattung erzählt hatte: »Sie hat mir mal gesagt, siewolle nicht an einem festen Ort begraben werden, sondern lieber im Meer verstreut werden.« Meine Schwestern und mein Vater guckten mich verwundert an. Offenbar war ich der Einzige, dem Gretel von diesem Wunsch nach einer Seebestattung erzählt hatte. Warum hatte sie das gerade mir anvertraut? War es einfach Zufall oder bildete ich mir das Gespräch etwa nur ein?
»Ich kann das gut verstehen«, sagte meine ältere Schwester, »ich würde auch gerne im Ozean verstreut werden. Das Meer find’ ich super. Aber es geht ja auch um die Hinterbliebenen. Die Enkelkinder fänden es sicherlich gut, einen Ort zu haben, wo man hingehen und ihrer Großmutter gedenken kann.«
»Für meine Freundin, die ihr Kind verloren hat«, fügte meine jüngere Schwester hinzu, »war es sehr wichtig, zu einem Grab zu gehen. Für sie war das über Jahre ein wichtiger Teil ihrer Trauerarbeit.«
»Ein Kollege von mir wurde in einem Friedwald begraben«, warf mein Vater ein, »das finde ich eine sehr schöne Sache. Da wird die Asche unter einem Baum vergraben, eine schöne alte Buche war das in dem Fall. Von diesem Waldstück aus hat man einen schönen Ausblick. Ich war da neulich mit seiner Tochter und wir haben an ihn gedacht. Dort hätte es Gretel bestimmt gefallen.«
Da räusperte sich meine jüngere Schwester: »Ich finde das unangenehm, sich hier über so was zu unterhalten, wenn Gretel nebenan sitzt.«
Es war tatsächlich ziemlich makaber, wenn man sich die Situation vor Augen hielt. Schon seit Längerem hatten wir uns Gretel gegenüber immer wieder verhalten, als wäre sie nicht mehr da, hatten über sie in der dritten Person gesprochen, obwohl sie anwesend war. Es war völlig unklar, was sie noch mitbekam und ob es sie störte, wenn man über sie redete. Wir hielten es an diesem Abend jedenfalls für das Beste, unserGespräch auf einem Spaziergang fortzusetzen. Gabija blieb bei Gretel, und wir liefen hinaus in die Nacht in Richtung des Stadtparkes. Mein Vater nahm den Gesprächsfaden wieder auf: »Meine Mutter fände bestimmt das Familiengrab in Hamburg den richtigen Ort.« Allen war klar, dass sich Gretel nicht gerade um einen Platz im Sieveking’schen Familiengrab gerissen hätte. Und Hamburg war weit weg.
»Die Frage ist ja auch, was du eigentlich machen möchtest, wenn Gretel mal nicht mehr da ist«, fragten wir meinen Vater.
»Ihr meint, wo genau ich dann zusammenbrechen möchte?«, seufzte er, und meine beiden Schwestern liefen an seine Seite, hielten seine Arme, sodass er sich bei ihnen aufstützen konnte. Das heiterte ihn auf: »Vielleicht klemme ich mir dann einfach Gretels Urne unter den Arm«, fabulierte er, »und nehme sie mit, steige auf den Vesuv oder so!«
»Das wäre aber illegal«, gab ich zu Bedenken. »Die Asche müsste man irgendwie aus Deutschland rausschmuggeln oder sie im Ausland kremieren lassen. Man darf laut Gesetz die Urne nicht mal bei sich auf den Kamin stellen oder im Garten bestatten.«
Wir liefen ein paar Schritte schweigend nebeneinander. Der Schnee knirschte unter unseren Füßen und ich bemerkte, dass ich viel zu dünn angezogen war und die klirrende Kälte im Eifer des Gesprächs ganz vergessen hatte.
»Wie möchtest du denn mal bestattet werden?«, fragte ich meinen Vater.
»Ich möchte meinen Körper der Wissenschaft zur Verfügung stellen.«
Betretenes Schweigen. Ich hatte gehört, dass das vor allem Leute machten, die sich ihre Bestattungskosten nicht leisten konnten. In so einem Fall übernimmt nämlich das medizinische Institut die Kosten für die Beisetzung nach der wissenschaftlichen Nutzung des Körpers. »Aber man muss jamit Gretel nicht unbedingt das Gleiche machen«, sagte meine ältere Schwester. Und die Jüngere fügte hinzu: »Das heißt, Gretel läge dann ganz allein ohne dich in ihrem Grab?«
»Naja, wir hatten ja auch immer getrennte Schlafzimmer«, erwiderte mein Vater, und wir kicherten. »Vielleicht muss ja auch nicht mein ganzer Körper von
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