vergissdeinnicht
nützlich zu sein und … ich weiß nicht … gebraucht zu werden? Meine beste Freundin machte die schlimmste Sache durch, die man sich vorstellen kann, und ich hatte auf eine seltsame, perverse Art Freude daran. Wie krass ist das? Hm, vielleicht ist »Freude« nicht ganz das richtige Wort, aber ich verspürte eine gewisse freudige Erregung von dem ganzen Drama. Sal tat mir ganz schrecklich leid, und ich hätte ganz ehrlich alles in meiner Macht getan, um ihre Situation zu verändern. Aber alles, was ich tun konnte, war, ihr in dieser Zeit beizustehen, so gut ich konnte – die Art beste Freundin zu sein, die sie verdiente. Und das versuchte ich auch. Ich deckte sie bei ihren Eltern, wann und wie immer es nötig war. Als Devon anfing, uns hinterherzuschnüffeln, weil er »spürte«, dass etwas nicht in Ordnung war, brachte ich ihn von unserer Fährte ab. Ich ging mit ihr zum Arzt – ich hatte Wochen gebraucht, um sie dazu zu bringen. Sal bestand darauf, erst ihre Prüfungen hinter sich zu bringen. Ich nervte sie und nervte sie, aber sie rückte nicht davon ab.
Natürlich war es keine Frage, was Sal tun würde: Sie konnte das Baby unmöglich behalten. Wir sprachen nicht mal über diese Möglichkeit. Es war nicht wie in diesen schmalzigen Fernsehsendungen, wo am laufenden Band Grundsatzentscheidungen diskutiert und vertrauliche Gespräche geführt werden, so von wegen dass es okay ist für ein Schulmädchen, alleine ein Baby großzuziehen. Und dass das Baby jetzt Teil von ihr sei und bla bla bla bla. Nein. Sal wollte das Baby nicht, und damit Schluss.
Ich wollte immer noch wissen, mit wem sie geschlafen hatte. Was mich betraf, spielte sie einfach nicht fair. Es sollte einfachausgeglichen sein (ich erzähl dir meins, du erzählst mir deins). Trotzdem gab ich mein Bestes, um den Groll zu ignorieren, der in mir gärte.
Sal wollte gar nicht, dass ich mit ihr zum Arzt ging, aber ich bestand darauf. Es war nicht so, dass ich ihr nicht zutraute, alleine hinzugehen – ich fand nur, dass ich dabei sein sollte. Der Arzt zeigte alle Möglichkeiten auf, die Sal hatte, aber ich merkte, dass sie nicht zuhörte. Als er fertig war, erklärte Sal ganz ruhig, dass sie bereits über alle Möglichkeiten detailliert nachgedacht hatte (Lüge), dass sie nicht dumm war (Wahrheit) und wusste, dass sie noch nicht bereit war, diese Verantwortung zu übernehmen (auch Wahrheit). Sie war gespenstisch gelassen. Es war fast, als wäre sie gar nicht richtig anwesend, oder als würde sie alles, was passierte, durch eine Glasscheibe betrachten. Eine Milchglasscheibe.
Die schlechte Nachricht war, dass wir nicht diese zwei zusätzlichen Wochen hätten warten dürfen. Wenn Sal früher zum Arzt gegangen wäre, hätte man ihr ein paar Tabletten gegeben, die die Schwangerschaft beendeten. Es wäre nicht schön gewesen, aber sie hätte sich das Trauma erspart, in ein Krankenhaus zu gehen. Es kam mir vor, als hätte ich Sal im Stich gelassen. Ich hätte sie dazu bringen müssen, mir zuzuhören. Hätte sie zwingen müssen, früher zum Arzt zu gehen. Vielleicht war ich zu beschäftigt damit gewesen, das Drama zu genießen. Vielleicht.
Es war komisch. Wir hatten uns beide mit dem Gedanken an eine Abtreibung abgefunden, bis wir herausfanden, dass sie eigentlich keine gebraucht hätte. Ich weiß nicht warum, aber eine richtige Operation schien deutlich schlimmer, als ein paar Tabletten zu nehmen, auch wenn das Resultat dasselbe war.
In dem Moment änderte sich etwas bei Sal, denke ich. Wir verließen die Praxis, nachdem wir für sie einen Termin in der Klinik für die folgende Woche gemacht hatten. Ich schlug vor, auf eine Tasse Tee in ein billiges, kleines Lokal zu gehen, das ich kannte.
Wir fanden einen Tisch im hinteren Teil des Cafés und setztenuns. Auf dem Tisch lagen mehr Pommes, als auf der Karte standen. Der Tee war bitter und stark. Sal war mit den Gedanken woanders, aber das war kaum verwunderlich. Ich laberte davon, dass alles gut werden würde, und dass sie bald alles hinter sich hatte, und ob der Arzt nicht nett gewesen wäre?
Sal unterbrach mich: »Grace, kannst du bitte einfach aufhören?«
»Aufhören womit?«
Sal sah mich an, als wäre ich ganz besonders zurückgeblieben. »Können wir einfach …? Ich kann das jetzt nicht. Ich muss gehen.« Sie schob ihren Stuhl zurück. Er machte ein abartig kratziges Geräusch auf dem Linoleum.
»Wo gehst du hin? Was ist los?« Ich war verwirrt. Ich wusste, dass sie aufgeregt war, aber sie sollte
Weitere Kostenlose Bücher