vergissdeinnicht
Dehnen, nichts Großartiges. Ich schritt einhundert Mal von einer Wand zur nächsten.
* * *
An dem Abend, nachdem wir beim Arzt waren, erwischte ich Sal nicht mehr. Ihr Handy war immer noch ausgeschaltet, und zu Hause war auch niemand. Oder zumindest ging niemand ans Telefon. Ich sah Sal vor mir, wie sie neben dem Telefon hockte und die Augen verdrehte, weil ich einfach nicht aufgab. Ich geb’s zu: Ich machte mir ernsthaft Sorgen. Ich hatte keine Ahnung, was gerade vor sich ging.
Die nächsten paar Tage waren gar nicht lustig. Ich hinterließ zahllose Nachrichten auf Sals Mailbox und ein paar bei ihr zu Hause. Das eine Mal, als ich mit ihrem Dad sprach, sagte er, sie sei nicht da. Ich wollte sie nicht zu sehr zu Hause belästigen – nicht, dass ihre Eltern Verdacht schöpften. Vielleicht brauchte sie nur etwas Abstand, um durchatmen zu können, etwas Zeit, um über nächste Woche nachzudenken.
Schließlich entschied ich, dass sie sich schon melden würde, wenn sie so weit war. Und dann würde ich für sie da sein, mit so viel Tee und Mitgefühl, wie sie sich nur wünschen konnte. Ich versuchte, nicht mehr daran zu denken, wie sehr ich mich im Café über sie geärgert hatte. Und darüber, dass sie meine Anrufe ignorierte. Und immer noch darüber, dass sie mir nicht sagte, mit wem sie geschlafen hatte. Eine Menge Ärger irgendwie, aber ich war bereit, ihn beiseitezuschieben. Erst mal.
Ich war mir sicher, sie würde sich vor nächster Woche bei mir melden. Und ich würde sie um nichts auf der Welt diesen Albtraum alleine durchstehen lassen. Also wartete ich, und wartete noch länger. Nichts.
Am Tag vor Sals Termin versuchte ich es ein letztes Mal. Ich hinterließ eine eindringliche Nachricht auf ihrem Handy und sagte ihr, dass sie mich anrufen MUSSTE und dass ich wusste, wie hart alles war, aber ich würde morgen für sie da sein, ganz egal, was sie sagte. Ein paar Stunden später bekam ich eine SMS : »Um 9 im Park – bei den Schaukeln.« Kurz und nicht so nett. Kein »Entschuldigung«, kein »Alles Liebe«, kein Nichts. Immerhin wollte sie mich endlich sehen.
Ich war zehn Minuten zu früh im Park und schlenderte auf die Schaukeln zu. Sal war schon dort, was mich überraschte. Sie war nie pünktlich. Sie hatte irgendeine mentale Blockade, wenn es darum ging. Ich habe schon erlebt, wie sie versucht hat, rechtzeitig zu Hause loszugehen, nur um dann festzustellen, dass sie ihre Schlüssel oder ihr Handy oder ihre Tasche nicht finden konnte, oder Moment mal … diese Jeans wollte sie heute gar nicht anziehen, weil es nach Regen aussah. Sie jetzt hier zu sehen, wie sie schaukelte, war etwas verwirrend.
Sal sah mich. Ich winkte. Sie nicht. Okaaay . Ich wollte mich schon umdrehen und nach Hause gehen, aber das konnte ich nun wirklich nicht bringen. Vorsichtig kam ich näher und setzte mich auf die Schaukel neben ihr. Sie sah mich nicht an.
»Wo hast du gesteckt, Sal? Ich hab mir Sorgen gemacht.«
»Ich war nirgendwo. Ich hab nur ein bisschen Abstand gebraucht.«
Sie schaute mich an. Ich weiß nicht, irgendwie sah sie gequält aus.
»Gut, das kann ich verstehen. Aber das hättest du mir doch sagen können.«
Sal schüttelte den Kopf. Sie legte ihre Hand auf ihren Bauch und rieb ihn sanft.
»Sprich doch mit mir, Sal. Bitte!«
»Was soll ich denn sagen?«
»Na ja, erst mal, ob ich dich morgen zu Hause abholen soll oder ob wir uns im Krankenhaus treffen.« Ich war absolut bereit, ihr gesamtes Verhalten zu vergessen – zumindest bis nach der Abtreibung.
»Ich will nicht, dass du mitkommst.« Ihre Stimme klang ruhig und bestimmt, und das gefiel mir gar nicht.
»Das ist doch Unsinn. Natürlich komm ich mit! Du würdest mich das doch auch niemals alleine durchstehen lassen. Komm schon, Sal …«
»Du hörst mir nicht zu. Ich will dich nicht dabeihaben.«
»Warum nicht? Kommt jemand anderes mit? Hast du es deiner Mutter gesagt?«
Ein flüchtiges Lächeln von Sal – so flüchtig, dass ich mir nicht sicher sein konnte, es überhaupt gesehen zu haben.
»Ja. Klar.«
»Also, wer dann? Moment … hast du es ihm gesagt … dem Jungen, meine ich?« Das könnte ein Fortschritt sein. Wenn X auftauchte, um seiner Verantwortung nachzukommen, konnte das nur eine gute Sache sein.
Sal schüttelte den Kopf, und Tränen stiegen ihr in die Augen. Ich wollte ihre Hand nehmen, und sie zuckte zurück. Sie zuckte tatsächlich zurück! Was zur Hölle?
»Sal, was stimmt nicht mit dir? Himmel!« Ich stand von der Schaukel auf
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