Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
vergissdeinnicht

vergissdeinnicht

Titel: vergissdeinnicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cat Clarke
Vom Netzwerk:
grünes T-Shirt entschied (mein Glücks-T-Shirt, ha!). Schuhe waren schwierig, aber ich entschied mich schließlich für was Bequemes, meine Adidas Sneaker. Nicht wirklich glamourös, aber ein bisschen Old-School-Look. Ich legte mehr Make-up auf, als eigentlich nötig war. Dabei sah ich in den Spiegel und dachte die ganze Zeit: Ich brauche jetzt keinen Eyeliner mehr. Das ist der letzte Lipgloss, den ich tragen werde. Das ist das letzte Mal, dass ich in diesen Spiegel sehe und weiß, dass ich nie gut genug sein werde. Lauter solche Sachen.
    Das Messer noch in die Tasche, dann war ich fertig.
    Ich hopste die Treppe runter, ganz so, als wäre ich das unbeschwerteste Mädchen auf der ganzen Welt. Ich rief: »Ich haudann mal ab und treff Sal. Wart nicht auf mich!« Meine Mutter saß im Wohnzimmer und schaute fern. Vielleicht hätte ich noch mal eine Sekunde zu ihr reinschauen sollen, statt die Tür zuzuschlagen, als ich sie hörte: »Grace, warte kurz …« Aber das tat ich nicht. Ein Moment länger in ihrer Gegenwart wäre zu viel für mich gewesen.
    Also hab ich mich nicht verabschiedet, und ich hab auch keinen Abschiedsbrief hinterlassen. Ich hab dafür gar keinen Grund gesehen. Abschiedsbriefe sind eh so was von lahm. Und wenn ich einen Brief hinterlassen hätte, würde jetzt jeder denken, ich wäre tot. Was ich definitiv (noch) nicht bin.
    Ich nahm den Bus in die Stadt. Ich setzte mich nach ganz hinten – was ich normalerweise nicht mache. Meine allerletzte Busfahrt. Dachte ich jedenfalls. Wenn ich’s mir recht überlege, kann das immer noch so sein. Jedenfalls war die Busfahrt, wie Busfahrten nun mal so sind. Eine Frau mit gaaanz langen grauen Haaren saß vor mir. Die dünnen Locken hingen über der Lehne ihres Sitzes, und die strähnigen Spitzen schabten an meinen Jeans. Es war widerlich. Ab einem bestimmten Alter sehen lange Haare einfach nicht mehr gut aus. Zum Glück stieg die Ekel-Haar-Frau aus, bevor ich anfangen musste zu würgen.
    Als sie weg war, fühlte ich mich ganz ruhig. Ich schloss die Augen und atmete tief ein. Ich würde es tun – ich würde es wirklich ehrlich wahrhaftig tun. Das war’s. Oh, es wird ihnen so leidtun … Ich lächelte über den Singsang in meinem Kopf.
    Ich weiß nicht, was ich jetzt über diese ganze Ja-du-warst-nur-ein-paar-Zentimeter-davon-entfernt-dich-umzubringen-Sache denken soll. Aber ich kann mich nicht intensiv mit meinen Gefühlen auseinandersetzen. Jetzt noch nicht. Es ist, als hätte ich einen Verband am Körper, von dem ich irgendwie weiß, warum er da ist, aber wenn ich ihn abnehme und die eitrige Wunde darunter sehe, ganz gelb und schleimig, dann werde ich vielleicht verrückt.
    Ich stieg aus dem Bus und hüpfte in den nächsten Off-Licence.Ich ließ mir Zeit dabei, mein Gesöff auszusuchen. Seltsamerweise entschied ich mich für Gin, obwohl ich das Zeug hasse. Es erinnert mich an Dad. Also ging ich zur Kasse, und der Typ hatte die schlimmste Akne, die ich je gesehen habe (abgesehen von Scott Ames in der 9. Klasse, aber wenigstens ging die weg, und jetzt sieht er ganz gut aus). Dann passierte das absolut Lächerlichste überhaupt: Ich sollte meinen Ausweis zeigen! Dazu muss man wissen, dass mir so was noch nie passiert ist. Ich kaufe mir Alkohol, seit ich vierzehn bin, verdammte Scheiße. Vielleicht war das ein Zeichen Gottes: »Grace, von mir aus bring dich um, wenn es sein muss, aber ich werde es dir nicht auch noch leicht machen.« Ich setzte mein bestes Das-ist-doch-wohl-ein-Witz-Gesicht auf und sagte zu Akne-Junge: »Das ist doch wohl ein Witz. Ich bin zweiundzwanzig! Seh ich aus wie ein Kind?« Er zeigte nur auf das Schild, auf dem stand: »Wer jünger aussieht als fünfundzwanzig blablablabla …« Ich verplemperte ein paar Minuten damit, ihm weiszumachen, dass mein Ausweis in meiner Jacke war, die ich zu Hause liegengelassen hatte, weil es so ungewöhnlich warm für die Jahreszeit war. Immer noch nichts. Nervig. Aber wahrscheinlich muss man irgendwie zusehen, wie man zu seinem Spaß kommt, wenn man die widerlichste, verpickeltste Fresse und keine Chance (jemals) auf Sex hat. Ich stolzierte aus dem Laden, warf dabei empört den Kopf zurück, ging in den Laden nebenan und kaufte genau dieselbe Flasche zwei Pfund billiger. Gott hat mir wohl doch kein Zeichen geschickt.
    Ich klemmte mir die Flasche unter den Arm und ging die Straße runter. Ein Pärchen in meinem Alter kam mir entgegen. Sie hielten Händchen und lachten. Weg weg weg! Der Typ drückte das

Weitere Kostenlose Bücher