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vergissdeinnicht

vergissdeinnicht

Titel: vergissdeinnicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cat Clarke
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statt einfach zu gehen.«
    »Sprechen wir jetzt von dir oder von Sal?«
    Sie hob wieder die Schultern und lachte. »Wer weiß? Ich bin dicht … Hör nicht auf mich. Also, ich muss los, sonst bringt mich meine Mum um. Ist das okay für dich, allein mit dem Bus zu fahren?« Ich nickte stumpf. »Gut. Wir sehen uns bald?« Ich nickte wieder. Und dann war sie weg. Komisch. Und was sollten die nicht-wirklich-rätselhaften Weisheiten?
    Zu Hause überkam mich ein plötzliches betrunkenes Verlangen, mir alte Fotos anzusehen. Also kramte ich mein Fotoalbum unter dem Bett vor. Ich hatte es vor ein paar Jahren zusammengestellt und den Einband aus irgendwelchen Gründen mit Katzenfotos verziert.
    Auf der ersten Seite waren lauter Bilder von mir, als ich noch klein war. Ganz niedlich, schrecklicher Haarschnitt und Zahnlückenlächeln. Dann gab es eins von mir und Sophie im Garten hinterm Haus. Wir hatten die Arme umeinander gelegt und Unfug im Blick. Im Hintergrund konnte man gerade so meinen Dad erkennen, der nach dem Barbecue sah. Er hatte eine Dose Bier in der einen, die Zange in der anderen Hand. Er liebte Barbecue. Er ließ keine Gelegenheit aus, draußen zu grillen (und dazu musste es nicht mal Sommer sein), auf die glühenden Kohlen zu pusten und mich in die Feinheiten des Fleischmarinierens einzuweihen. Ich stellte eine Frage nach der nächsten, nur um seine Stimme zu hören. Ich verstand nicht wirklich viel, es war mir auch egal, ich wollte nur Zeit mit ihm verbringen.
    Ich frage mich, ob es irgendwann einfacher wird, an ihn zu denken. Man sollte meinen, ich hätte mich daran gewöhnt, dass er fort ist. Wenn bloß. Meine zwei Lieblingswörter, wenn ich im Selbstmitleid ertrinke.
    Wenn er bloß immer noch hier wäre.
    Wenn Mum bloß verstehen würde.
    Wenn ich bloß aufhören könnte, mir selbst wehzutun, mich selbst zu bestrafen.
    Sinnlose Wörter.
    Jedenfalls wurde ich von den Fotos zugleich traurig und fröhlich. Ein Bild von Dad nahm ich aus der Plastikhülle. Es war ein Foto, das ich an einem Weihnachten gemacht hatte. Überall lag Geschenkpapier herum. Dad saß mittendrin, blaue glitzernde Christbaumkugeln baumelten an seinen Ohren. Ich erinnerte mich daran, wie ich ihm Anweisungen gegeben hatte, wo er sitzen sollte, und ihm ach-so-kunstvoll die Kugeln angehängt hatte. Auf dem Foto kriegte er sich kaum ein vor Lachen und hatte die Augen geschlossen. Ein Fuß meiner Mum im Pantoffel hat sich am linken unteren Rand aufs Bild geschmuggelt.
    Ich küsste das Bild und legte es unter mein Kissen. Dann rief ich meinen perfekten Freund an und hinterließ ihm eine lange, wirre Nachricht, die wenig Sinn ergab (wie er mich am nächsten Tag genüsslich wissen ließ).

Tag 18
    Heute geht es mir gut. Ich hab gut geschlafen, ohne erwähnenswerte Träume. Mum denkt, dass sie nie träumt, aber wovon sollte sie auch träumen? Schuhreihen um Schuhreihen, so weit das Auge reicht?
    Ethan saß auf meinem Bett, als ich gerade aus dem Bad kam, noch ganz gerötet und in ein Handtuch gewickelt, das gerade so bedeckte, was ein braves Mädchen bedeckt haben will. Auf dem Tisch lag ein Schokocroissant, und daneben stand ein großer Becher mit Tee. Ich riss ein Stückchen von dem Croissant ab, steckte es mir in den Mund und leckte die Schokolade, die herausgequollen war, von meinen Fingern.
    »Auch was?«
    Ethan schüttelte schnell den Kopf.
    Ich zuckte die Schultern und aß weiter, ohne etwas zu sagen. Als ich fertig war, leckte ich jedes Krümelchen Schokolade von meinen Fingern und setzte mich neben ihn aufs Bett. Das Handtuch klammerte sich mit letzter Verzweiflung an mich.
    »Hat’s dir die Sprache verschlagen?«, zog ich ihn auf.
    »Guten Morgen, Grace. Du siehst heute … anders aus«, sagte er.
    »Das ist bei den meisten Leuten so, wenn sie nichts anhaben.« Er sah verwirrt aus. Seine Augen suchten verzweifelt meinen Blick, als könnte er tief genug in mich hineinsehen, um meine Wahrheit zu finden. Die dunklen Ringe unter seinen Augen sahen aus wie blaue Flecken.
    »Ethan, ich …«
    Er legte seinen Finger auf meine Lippen, um mich zum Schweigen zu bringen. Ein paar feuchte Strähnen strich er hinter mein Ohr und flüsterte: »Trink den Tee.« Und dann war er weg. Einfach so.
    Ich ließ mich aufs Bett plumpsen und seufzte. Verwirrt und frustriert.
    Dann tat ich, was er mir gesagt hatte.
    Ich vertat den größten Teil des Morgens damit, auf dem Bett zu liegen und über nichts Bestimmtes nachzudenken. Ich war nicht unglücklich. Ich war

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