vergissdeinnicht
während ich sie vollquatschte, nickte an den richtigen Stellen, sagte die richtigen Sachen. Als ich endlich mein Pulver verschossen hatte, waren unsere Gläser leer. Diesmal ging Sophie an die Bar – wahrscheinlich war sie ganz froh darüber, eine Pause von mir zu haben. Als sie zurückkam, stellte ich ihr die Killerfrage. Ich bin ein schlechter Mensch .
»Nicht … nicht im Moment.« Sie öffnete den Mund, als wollte sie noch was sagen, dann klappte sie ihn gleich wieder zu. Ich hob fragend eine Augenbraue. Sie schwenkte ihren Drink im Glas herum, die Eiswürfel klirrten.
»Also, es gibt da jemanden, den ich … also … irgendwie gut finde.« Sophie atmete hörbar aus, als hätte sie gerade ein Megageständnis abgelegt, im Sinne von »Ich hab mit dem gesamten Rugbyteam gevögelt« oder so was. Das ist besser. Ich fühlte mich wohler mit der ›unsicheren Sophie‹.
Ich bedrängte sie, um rauszukriegen, wer der mysteriöse Junge war, aber sie hielt den Mund. Vielleicht hatte das etwas damit zu tun, dass ich unglaublich von oben herab war … Als wäre ich ihre große Schwester, die sie damit aufzog, dass sie sich endlich für einen Jungen interessierte. Ich entschuldigte mich und wechselte das Thema.
Wir sprachen eine Weile über die Schule, aber darüber gab es nicht viel zu sagen. Wir hätten genauso gut an verschiedene Schulen gehen können, so wenig hatten wir gemeinsam. Aber zwei Drinks später lief das Gespräch deutlich runder. Sophie hatte einen erstaunlich trockenen Humor. Den hatte sie noch nicht, als wir befreundet waren, oder doch? Den musste sie sich herangezüchtet haben. Oder im Internet gekauft oder so.
Als es später wurde, gingen wir unvermeidlich dazu über, in alten Zeiten zu schwelgen. Als wir uns zum Beispiel vor Angst in die Hosen gemacht haben, weil wir in das Fenster des verlassenen Hauses geklettert waren, das am Ende unserer Straße stand. Irgendwie war ich damals besessen von dem Gedanken, dass ein unheimlicher glatzköpfiger alter Mann mit blutunterlaufenen Augen, die keine Lider hatten, darin auf die Nachbarskinder wartete. Die Crackjunkies, die im Speicher abhingen, erschreckten uns sehr viel mehr als alles andere, was sich meine überschäumende Fantasie je hätte ausdenken können.
Sophie konnte sehr viel mehr Alkohol ab, als ich ihr zugetraut hätte. Ich konnte nicht anders, ich musste daran denken, dass man diese Menge nicht ohne weiteres vertrug, wenn man jeden Abend wie ein braves Mädchen zu Hause saß und lernte.
»Ich muss schon sagen, Soph, du bist echt krass. Die meisten Leute würden jetzt schon unterm Tisch liegen.«
»Schau nicht so überrascht!«
»Na, bin ich aber«, gab ich ein bisschen verlegen zu. »Ich hab wohl nicht gedacht …«
»Was? Du hättest nicht gedacht, dass ich ›von der Sorte‹ bin? Eher so die ›Um zehn im Bett, den Teddy kuscheln und ein gutes Buch lesen‹-Sorte? Meinst du das?«
Ich zuckte die Schultern. »Na jaaaaa …« Wir lachten beide.
»Oh Grace, du hast echt so gar keine Ahnung, oder?« Sie hörte sich leicht gereizt an, aber wir lächelten immer noch beide. »Wir sind seit fünf Jahren nicht mehr befreundet … Glaubst du nicht, dass ich mich vielleicht, nur ganz vielleicht, ein winziges bisschen in der ganzen Zeit geändert habe?«
»Ähm … klar. Ich hab nur …«, stotterte ich.
»Nur was?« Zu meinem Unbehagen sah mich Sophie amüsiert an.
»Nichts.«
»Weißt du, ich könnte dir ein, zwei Sachen erzählen, die dich echt umhauen würden.« Sie lallte zwar nicht, aber sie hatte schon deutlich einen sitzen.
»Ach ja? Was denn?«
»Glaubst du, ich würde meine tiefsten, dunkelsten Geheimnisse einfach so ausplaudern? Vergiss es.«
»Na ja, vielleicht das nächste Mal? Das fände ich … cool.«
Sie sah mich an und schien zu überlegen, ob ich es ernst meinte. »Wirklich?«
»Klar. Ich hatte Spaß. Du nicht?«
»Doch.« Sie zögerte, dann fuhr sie fort: »Du hast dich mit Sal verkracht, oder?«
»Wie kommst du darauf?«
Sophie hob die Schultern. »Du solltest das klären.« Irgendwie lief das alles gerade seltsam. Ich war schon kurz davor, ihr zu sagen, dass sie mich mal kann und sich verpissen soll.
»Sei mir nicht böse, Soph, aber ich will nicht darüber reden.«
»Kein Problem. Aber gib sie nicht so einfach auf. Das passiertso schnell, sobald es etwas schwieriger wird.« Sie stand auf und schwankte ein bisschen. »Manchmal muss man eben eine Weile länger dranbleiben, um herauszufinden, wer jemand ist,
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