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vergissdeinnicht

vergissdeinnicht

Titel: vergissdeinnicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cat Clarke
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einfach nur. Schneller als erwartet kam Ethan mit dem Mittagessen. Seltsamerweise hatte ich einen Riesenhunger für jemanden, der einen Scheiß getan hatte. Als er wiederkam, um meinen Teller zu holen, leckte ich gerade die letzten Reste Bratensoße von meinem Messer. Mum wäre entsetzt gewesen. Ethan schien erfreut. »War das gut?«
    »Mmmh! Brathähnchen mag ich am liebsten. Ein anständiges Sonntagsessen ist doch nicht zu schlagen.« Eine Erinnerung tauchte in meinem Kopf auf: Mum stellte Bratkartoffeln auf den Tisch. Sie gab mir und Dad immer einen ganzen Haufen, und sie selbst nahm nur ganz wenig. Und jede Woche, ohne Ausnahme, sagte Dad: »Das sind die besten Bratkartoffeln, die ich JEMALS gegessen habe.« Und Mum rollte immer die Augen und sagte: »Aber das sagst du jede Woche, Jim!« Und man konnte sehen, dass sie sich insgeheim darüber freute. Und man konnte sehen, dass er es wirklich so meinte. Und man konnte sehen, dass sie sich wirklich liebten.
    Ethan sagte meinen Namen, und ich konnte am Tonfall erkennen, dass es nicht das erste Mal war. Und schon war die Erinnerung wieder weg.
    »Was?«, sagte ich genervt. Mein Gehirn quoll nicht gerade über mit schönen Erinnerungen wie dieser.
    »Ich hab dich nach deiner Familie gefragt.«
    »Warum?«
    »Ich bin neugierig.«
    »Warum?«
    »Ich würde gerne wissen, warum du bist, wie du bist.«
    »Und du glaubst, da liegt die Antwort? In meiner Familie? Was ist mit deiner Familie? Warum bist du so, wie du bist?«
    Er sah mich mit diesem aufgewühlten Blick an und sagte leise: »Wir sprechen nicht über mich.«
    »Warum nicht? Warum müssen wir die ganze Zeit über mich reden? So interessant bin ich auch nicht, weißt du.«
    »Oh, das würde ich nicht sagen, Grace.« Er klang, als hätte er tausend Jahre nicht geschlafen. Und dann sah er mir direkt in die Augen und sagte: »Vermisst du deinen Vater?«
    »Jeden Tag. Ich vermisse ihn jeden Tag.« Ich schluckte, fest entschlossen, nicht laut loszuheulen. Ethan muss kapiert haben, dass ich gerade nicht besonders mitteilsam war. Er sagte nichts mehr, räumte nur meinen Teller weg und ging. Aber nicht, ohne mir vorher aufmunternd (väterlich?) auf die Schulter geklopft zu haben.
    Erst, als er die Tür hinter sich zugemacht hatte, fiel mir ein, dass ich Ethan gar nichts von Dad erzählt habe. Woher wusste er es? Woher konnte er es nur wissen?
    * * *
    Warum bin ich, wie ich bin? Was für eine komische Frage. Warum ist man so, wie man ist? Gene oder Erziehung? Etwas von beidem? Vielleicht ist es bei manchen keins von beidem. Vielleicht sollten sie zu etwas Bestimmtem werden, aber dann stieß ihnen etwas Fürchterliches zu. Und vielleicht war nichts mehr so, wie es vorher war. Vielleicht.

Tag 19
    Jedenfalls glaube ich, dass es Tag 19 ist. Müsste es mittlerweile. Ich kann nicht schlafen. Ich kann nicht schlafen. Ich kann nicht schlafen. ICH KANN NICHT SCHLAFEN . Ich habe jeden Trick ausprobiert, den ich kenne: Alle Könige und Königinnen von England aufsagen (aber bei den Henrys komme ich immer ein bisschen durcheinander), mich an die Namen von allen Kindern in der Grundschule erinnern (aber ich blieb beim Namen von dem Jungen hängen, der immer eine rotzverschmierte Nase hatte). Ich ließ mich sogar so tief herab, Schäfchen zu zählen. Ich habe keine Ahnung, wer sich das ausgedacht hat – ich weiß nur, dass ich verdammt weit zählen kann.
    Da kann ich auch genauso gut mit dem hier weitermachen, wenn ich schon auf bin. Es ist ja nicht so, dass ich einfach mal eben runterhüpfen und mir ein Glas warme Milch machen könnte. Warme Milch? Ekelhaft.
    * * *
    Alles lief super mit Nat. Aber ich wartete irgendwie darauf, dass etwas schiefging. Etwas musste schiefgehen. Es war sicher nur eine Frage der Zeit. Ich wurde nie wirklich das Gefühl los, dass ich ihn nicht verdiente. Er war viel zu gut für mich. Und viel zu gut zu mir. Er hörte mir zu, wenn ich etwas erzählte, statt darauf zu warten, wann er endlich mit Reden dran war. Er kaufte mir eine kleine grüne Monsterfingerpuppe, die mich zum Lachen brachte. Er nahm mich in den Arm, und ich fühlte mich gut.
    Ich ging an einem Nachmittag zum ersten Mal zu ihm nach Hause. Seine Mum war arbeiten, und wir machten in seinem Zimmer rum. Wir hatten immer noch die meisten Klamottenan, und ich war gerade dabei herauszufinden, wie kitzelig er war (sehr, wie sich herausstellte). Ich hatte ihn aufs Bett gedrückt, indem ich seine beiden Hände mit meiner über seinem Kopf festhielt. Wir

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