vergissdeinnicht
Schnitte, die ich an dem Tag gemacht hatte. Und dann machte ich noch ein paar mehr.
* * *
Ich sah mir den Schaden am nächsten Morgen an. Es war kein schöner Anblick: wie Moderne Kunst, die schwer aus dem Ruder gelaufen ist. Auf dem Laken war so viel Blut – mehr als ich für möglich gehalten hätte. Die Messerklinge sah rostig aus.
Ich konnte es nicht ertragen. Ich zog mir die Decke über den Kopf und fiel in einen traumlosen Schlaf.
Als ich aufwachte, hatte ich ein paar herrliche Sekunden des Nichterinnerns, bevor alles mit Wucht wieder zurückkam. Ich ging in meinem Kopf wieder und wieder durch, was geschehen war, und landete immer wieder bei dem Bild von Nats Gesicht, kurz bevor er gegangen war. Er hatte mich angesehen, wie maneinen Fremden auf der Straße ansehen würde. Wie konnte man sich in wenigen Minuten von ›jemandem sagen, dass man ihn liebte‹ zu ›jemanden so ansehen‹ verwandeln? Wie war das denn möglich?
Ich wusste, dass die ganze Sache meine Schuld war. Es wäre alles nie passiert, wenn ich nicht versucht hätte, mich davor zu drücken, ihm von meiner Vergangenheit zu erzählen. Ich hätte einfach lügen oder vage bleiben können oder ihm sagen, dass er mein Erster war. Oder vielleicht auch nicht. Vielleicht hätte ich ihm die Wahrheit sagen können und vielleicht hätte er es verstanden und vielleicht wäre ein gigantischer Stein von meinem Herzen gefallen und ich hätte wieder atmen können.
Ich checkte mein Handy, weil ich hoffte, einen kleinen Umschlag in der Ecke des Displays zu sehen. Und da war er!
Mein Herz hämmerte in meiner Brust, und ich wusste, dass alles gut werden würde. Bis ich sah, dass es eine Nachricht von meinem verschissenen Provider war. Scheißescheißescheiße.
Ich warf das Handy auf den Boden und bedachte es mit dem schwärzesten Blick, den ich draufhatte. Ich überlegte, wie ich das Ding als Nächstes bestrafen könnte. Aber dann überlegte ich es mir anders und schrieb Sal: »Kommst du? BITTE ! Nat ist nicht da. x« Ein paar Minuten später bekam ich die Antwort, dass sie auf dem Weg war.
Ich duschte schnell und ignorierte so gut es ging die Schmerzen, die das heiße Wasser an den Schnitten auf meinen Beinen verursachte. Ich fühlte mich schon sehr viel besser, als ich mich anzog und mein nasses Haar zum Pferdeschwanz band. Sal würde wissen, wie alles mit Nat wieder ins Lot kam. Ich konnte ihr nicht wirklich sagen, warum wir uns gestritten hatten, aber ich war sicher, mir würde schon etwas Glaubhaftes einfallen. Sie würde mich umbringen, wenn herauskam, was ich ihm erzählt hatte. Und sie hätte auch jedes Recht dazu. Beste Freundinnen tun sich so etwas nicht an, niemals. Ich war die schlechteste beste Freundin auf der ganzen Welt.
Es klingelte viel früher, als ich erwartet hatte. Ich hatte das Bettzeug noch nicht in die Wäsche werfen können. Ich verzog das Gesicht, als ich sah, in welchem Zustand es war. Aber es war wohl okay, Sal und ich würden einfach unten bleiben. Trotzdem verstaute ich das Messer schnell in der Schublade und warf meinen Bademantel wie zufällig aufs Bett. Etwas Besseres fiel mir nicht ein.
Ich sprang die Treppe runter und öffnete Sal die Tür, und dann fing ich versehentlich an zu heulen, bevor sie sich setzen konnte. Das war so nicht geplant.
Sal brachte mich rüber zum Sofa und ließ meinen Tränen ihren Lauf. Sie umarmte mich und sagte mir, dass alles gut werden würde, was schön anzuhören war, auch wenn ich ihr nicht glaubte. Als das Heulen zu einem bloßen Schnüffeln abgeebbt war, bot Sal an, mir eine Tasse Tee zu machen. Ich wartete auf dem Sofa.
Sie kam mit zwei riesigen Teebechern aus der Küche. »Zwing dir davon was rein.« Ich nahm einen siedend heißen Schluck und genoss den Schmerz.
»Also, was hat er getan?«
»Wie meinst du das?« Mein Gehirn funktionierte nicht.
»Nat – was hat er getan? Er muss irgendwas getan haben, sonst wärst du nicht so drauf. Sag’s mir, und ich gehe zu ihm und geb ihm eins auf die Nase.« Allein der Gedanke ließ mich lächeln.
»Nichts. Er hat nichts getan. Es ist alles meine Schuld.« Ich legte mit der Geschichte vom Wochenende los. Sal hörte genau zu und nippte an ihrem Tee.
Sie unterbrach mich nur einmal. »Er hat dir gesagt, dass er dich liebt?«
»Ja, hat er. Und ich war so glücklich. Dann ging irgendwie alles schief. Wir hatten einen blöden Streit, und ich wurde richtig wütend und hab ihn rausgeworfen. Er hat nicht mal versucht, mich dazu zu bringen, meine
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