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vergissdeinnicht

vergissdeinnicht

Titel: vergissdeinnicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cat Clarke
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nichts Neues. Sie war verwirrt.
    Ich sagte leise: »Meine Beine – ich hab meine Beine geritzt.«
    Pure Verachtung glitt über ihr Gesicht. »Was stimmt nicht mit dir?«
    »Schau, es ist keine große Sache. Ich kann es nicht ändern – du weißt das.«
    »Aber das ? Es sieht aus, als wäre hier jemand gestorben oder so.«
    Ich setzte mich auf die Bettkante. Sal stand da und konnte ihre Augen nicht von dem Anblick lösen. Ich überlegte verzweifelt, was ich sagen sollte – irgendwas, das diese Unterhaltung beenden würde.
    »Ich konnte mich nicht zurückhalten. Ich hab einfach weitergeritzt.« Sal schüttelte immer noch den Kopf. Ich musste also mit etwas Besserem kommen. »Ich hab mich dadurch besser gefühlt … Tut mir leid.«
    » Tut dir leid? Verdammt, Grace, weißt du, wie falsch das klingt? Wie kann es sein, dass dir ins eigene Fleisch schneiden und entsetzliche Narben am ganzen Körper machen … wie kann es nur möglich sein, dass es dir davon besser geht?« Sals Stimme wurde lauter, als sie fortfuhr: »Denkst du jemals daran, wie es mir damit geht? Ich mache mir ununterbrochen Sorgen um dich.«
    Ihr Ausbruch machte mich sprachlos. Ich dachte, wir hätten diese ganze Sache mit dem Ritzen durch. Es war nur etwas, das ich machte. So normal wie Zähneputzen oder Nägel feilen.
    »Kein Grund, sich Sorgen zu machen. Ich hab es unter Kontrolle.«
    Sal schnaubte höhnisch. »Ja, klar. Sieht mir ganz danach aus. Das da ist das Abbild von Kontrolle.« Sie nahm ein blutbeflecktes Kissen und hielt es mir so nah vors Gesicht, dass ich für den Bruchteil einer verrückten Sekunde dachte, sie wollte mich damit ersticken.
    Jetzt war ich langsam genervt – meine schlechte Laune wuchs langsam, aber beständig, um sich mit ihrer zu messen. Ich riss ihr das Kissen aus den Händen. »Hör auf damit, Sal. Sarkasmus steht dir nicht.« Sie sah überrascht aus. Sie hatte eindeutig nicht damit gerechnet, dass ich mich wehren würde. Sie sollte mich wirklich besser kennen.
    Sie holte tief Luft. »Okay, das war’s. Ich muss gehen.«
    »Was? Warum? Oh, komm schon! Sei nicht so. Ich hab nur Spaß gemacht – Sarkasmus passt ganz wunderbar zu dir.« Ich versuchte ein Lächeln.
    »Das ist nicht mehr witzig, Grace. Ich gehe. Ich weiß einfach nicht, was ich dir noch sagen soll.« Sie drehte mir den Rücken zu.
    Ich sprang vom Bett und drängte mich zwischen Sal und die Tür. »Hör zu, es tut mir leid. Bitte geh nicht. Können wir nicht darüber reden?«
    »Es tut mir auch leid.« Sal schüttelte den Kopf, als sie mir geschickt auswich. »Aber es gibt nichts mehr zu reden. Du kannst so nicht weitermachen. Das weißt du auch, oder? Wenn dir was passiert, kann ich mir das nie verzeihen. Versuch mal, dich in meine Lage zu versetzen … Ich habe versucht, es zu verstehen … aber das? Das ist zu viel für mich, damit kann ich gerade nicht umgehen.«
    »Sal, ich …«
    »Denk einfach drüber nach. Versprich mir das«, sagte sie und war mit einem Mal wieder ganz ihr altes, sanftes Ich. Ich nickte. »Ich ruf dich morgen an, okay?« Sie berührte sanft meine Schulter, bevor sie aus dem Zimmer ging.
    Ein weiteres stummes Nicken von mir, und sie war verschwunden. Das zweite Mal, dass man mich in den letzten vierundzwanzig Stunden verlassen hatte. Ich warf mich aufs Bett, und die Tränen kamen nur allzu leicht. Nach ungefähr einer Minute ging der Feueralarm los. Der Bacon. Scheiße.
    In dieser Nacht lag ich im Bett unter frischen, viel zu gestärkten Laken und grübelte über den riesigen Haufen Scheiße nach, zu dem mein Leben geworden war. Ich versuchte herauszufinden, wie (oder ob) ich alles wieder in Ordnung bringen konnte.
    Schließlich griff ich nach meinem Handy auf dem Nachttisch und feuerte zwei SMS direkt hintereinander ab:
    »Es tut mir leid. Ab sofort wird sich alles ändern – ich versprech’s. Hab dich lieb.«
    »Tut mir leid (mal wieder!). Ich will es wiedergutmachen. Ich liebe dich.«
    Im Grunde, wenn auch mit leichten Unterschieden, dieselbe Nachricht an die einzigen zwei Menschen, die mir etwas bedeuteten.
    Ich schlief schlecht, mein Kopf war ein einziges Gewirr aus Albträumen und düsteren Gedanken. Jedes Mal, wenn ich aufwachte, checkte ich mein Handy nach neuen Nachrichten und fühlte mich immer elender. Gegen drei Uhr morgens musste ichschließlich einsehen, dass keiner der beiden antworten würde – jedenfalls nicht bis zum nächsten Morgen. Ich versuchte, nicht darüber nachzudenken, was das bedeuten könnte.

Tag

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