Vergissmichnicht
nichts«, sagte Charles ruhig. » Er und seine Frau sind schuld und ich glaube, die beiden deutschen Kommissare sind auf dem Weg, ihn zu verhaften. Seine Frau haben sie ja bereits abgeführt.«
»Seine Frau … sie tut mir leid. Obwohl sie meine Mutter getötet hat.«
» Sie war das?«, fragte Charles erstaunt. »Ich hätte schwören können, dass er es war und sie ihm nur geholfen hat.«
»Nein, sie war es. Er hat von alldem nichts gewusst.« Sie berichtete ihrem Gatten von Beates Beichte im Keller.
»Sie hat schon recht. Ich hatte immer alles und sie hatte nichts. Und ich habe das, was ich hatte, sogar mit Füßen getreten. Ich kann ihre Bitterkeit irgendwie verstehen.« Marlene löste sich von der Schulter ihres Mannes und malte mit der Schuhspitze Muster in den Kies vor dem Gruberschen Haus.
»Anscheinend haben Carlo und Wolfgang mich beide wirklich geliebt, sie aber nicht.« Marlene strich sich müde mit der Hand über das Gesicht. »Meine Tochter heißt Stefanie. Das hat mir der Kommissar im Keller erzählt.«
»Weiß sie es?«
»Ja. Im Zuge der Ermittlungen ist wohl alles aufgeflogen.« Marlene schwieg.
»Willst du sie sehen?«, fragte Charles das, was seine Frau sich nicht auszusprechen traute.
»Ja«, gab sie zu. »Ich habe keine Angst mehr vor der Vergangenheit. Die Geister sind gebannt. Aber, Charles, ich bin mir nicht so sicher, ob sie mich sehen will. Sie muss mich hassen, nach allem, was sie durch mich erleiden musste.«
»Das glaube ich nicht«, erklärte Charles, mehr, um seine Frau zu beruhigen als aus echter Überzeugung.
»Ich möchte nicht, dass sie es erfährt«, sagte Marlene. »Ich will nicht, dass sie weiß, dass sie bei einer Vergewaltigung entstanden ist und dass ihr Vater ein Mörder ist. Sie ist ohnehin schon ziemlich aus der Bahn geworfen, hat mir Kommissar Strobehn erzählt. Das könnte ihr Ende bedeuten. Ein solches Wissen kann einen Menschen vernichten.«
»Ich weiß nicht, ob du es ihr verheimlichen kannst«, wandte Charles ein. »Kommissar Strobehn und Kommissarin Grundel werden ihr die Ermittlungsergebnisse mitteilen müssen.«
»Lass uns morgen mit den beiden darüber reden«, bat Marlene.
»Gut. Und jetzt musst du dich endlich durchchecken lassen.«
Er nickte dem Notarzt zu, der eine ganze Weile lang taktvoll einige Schritte entfernt gestanden hatte, nun aber ungeduldig wurde. »Sie können meine Frau jetzt untersuchen.«
Einundvierzigstes Kapitel
Konstanz
Obwohl noch nicht alle Stimmen ausgezählt waren, war bereits klar, dass Wolfgang Gruber die Wahl mit überwältigender Mehrheit für sich entschieden hatte. Seine Gegenkandidaten standen mit gefasster Miene vor den Leinwänden, auf denen ständig die aktualisierten Hochrechnungen gezeigt wurden. Kandidatin Fraunhoff starrte konzentriert auf den Bildschirm, als hoffe sie, ihr roter Balken würde sich wie durch ein Wunder noch kräftig nach oben bewegen. Gruber lächelte. Sein Balken war der blaue und der hatte von vornherein deutlich Vorsprung gehabt. Ihn würde keiner mehr einholen. Was für ein Triumph. Er, der kleine, gemobbte Wolfgang Gruber, hatte es endlich geschafft. Der einzige Wermutstropfen war, dass seine Frau nicht an seiner Seite war. Ärgerlich sah Gruber sich um. Nicht, dass er sie vermisste, eigentlich war er eher froh, wenn sie ihn in Ruhe ließ. Sie reizte ihn immer auf das Unangenehmste. Allein schon ihre Art, ihn anzusehen, machte ihn rasend. Aber so wenig Wert er im Grunde genommen auf ihre Anwesenheit legte: Es machte wahrlich keinen guten Eindruck, wenn der frisch gewählte Oberbürgermeister alleine in die Kameras lächelte. Das würde sie ihm büßen, dieses Miststück. Sie hatte genau gewusst, wie wichtig es ihm war, in der Öffentlichkeit eine gute Figur zu machen.
Und dann war die letzte Stimme ausgezählt.
»Meine Damen und Herren, ich darf die Ergebnisse der Wahl verkünden«, hallte es durch das Rathaus, über den Rathausplatz und von dort hinaus in die Stadt.
»Wolfgang Gruber: 51,8 Prozent. Markus Häberle: 30,4 Prozent. Martha Fraunhoff: 11,2 Prozent. Andere Kandidaten: 3,6 Prozent. Ungültige Stimmen: 3 Prozent. Die Wahlbeteiligung lag bei 62,3 Prozent.«
Jubel, durchmischt von vereinzelten Buhrufen, brandete auf. Wolfgang Gruber war im Nu umringt von Gratulanten und Journalisten. »Schauen Sie bitte einmal hierher, Herr Gruber.«
»Wie fühlen Sie sich?« – »Haben Sie mit einem derart guten Ergebnis gerechnet?« – »Was sagen Sie zur Wahlbeteiligung?«, stürmten
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