Vergossene Milch
alte Wiegenlieder in Erinnerung gerufen, ich habe mich nicht geniert, leise zu summen, wenn der Junge mitten in der Nacht, wegen irgendetwas verängstigt, zu mir ins Bett kroch. Ich habe ihm das Lesen beigebracht, habe ihm ein Stipendium an meiner alten, von Priestern geführten Schule beschafft, wo mein Name noch Türen öffnete. Der Junge war mir ans Herz gewachsen, denn trotz des Palumba in seinem Namen und seinen etwas groben Gesichtszügen gehörte er fraglos zu meiner Sippe. Er begleitete mich zu den Antiquariaten im Stadtzentrum und half mir, Fotografien vom Anfang des Jahrhunderts auszugraben, als die Assumpçãos im Land das Sagen hatten, wie ich ihm beigebracht hatte. Er war es, der ein Foto von 1905 fand, auf dem mein Vater als junger Senator mit Zylinder im Gefolge des Präsidenten Rodrigues Alves zu sehen ist. Ich nahm ihn in kurzen Hosen mit in den Senat und ließ ihn an dem Pult fotografieren, an dem sein Urgroßvater so viele Reden gehalten hatte. Der Junge legte seine Geschichtsbücher nicht aus der Hand und erfüllte seine Mutter mit Stolz über seine Schulnoten. Schon früh in Politik bewandert, konnte er, als er ins Gymnasium kam, mit seinen Lehrern von Gleich zu Gleich über die gefährliche Situation des Landes diskutieren. Und eines Tages kam er zu mir und teilte mir mit, dass er Kommunist geworden sei. Warum nicht, sagte ich mir. Wenn der Kommunismus kommt, wird Eulálio d’Assumpção Palumba es vermutlich bis ins Politbüro, in ein Kabinett, wenn nicht sogar bis ins Zentralkomitee der Partei bringen. Doch statt des Kommunismus kam 1964 der Militärputsch, also beeilte ich mich, ihm die alten Beziehungen unserer Familie zu den Streitkräften in Erinnerung zu rufen, zeigte ihm sogar die Peitsche, die seinem portugiesischen Ahnvater gehört hatte, dem berühmten General Assumpção. Doch mit seiner Jugend war Eulálio noch für den Einfluss von unvernünftigen Leuten empfänglich, vielleicht sogar von roten Priestern. Oder aber das heiße Blut der Kalabresen stieg ihm in den Kopf, ich weiß nur, dass er sich darauf versteifte, ein Held des Widerstands zu werden. Er kam mit einem Mimeographen nach Hause, druckte Flugblätter, vergeblich versuchte ich ihm zu erklären, dass Heldentum nichts Edles sei. Eines Abends stopfte er seine Sachen in Rucksäcke, und meine Tochter reagierte verzweifelt, sie sagte, er sei in den Untergrund gegangen. Es dauerte nicht lange, dann stürmten sieben Polizisten unsere Wohnung, wühlten alles durch, schüttelten Maria Eulália, fragten nach einem Pablo, und ich erklärte, da müsse eine Verwechslung vorliegen, der Junge sei ein Assumpção aus gutem Haus. Ich zeigte ihnen auch noch das Porträt meines Großvaters im goldenen Rahmen, aber ein brutaler Idiot verpasste mir eine Ohrfeige und schimpfte, meinen Großvater könne ich mir hinten reinstecken. Dieser Trottel verteilte meine Fotosammlung auf dem Fußboden, und es hätte mir überhaupt nichts genützt zu protestieren, als er die florentinische Peitsche konfiszierte. Nach einiger Zeit kam ein Anruf, wir sollten ein Kind aus dem Militärkrankenhaus abholen, es war ein Sohn von Eulálio und einer Komplizin von ihm, die im Gefängnis entbunden hatte. Diesen Eulalinho habe ich wie ein eigenes Kind großgezogen, habe ihm das Lesen beigebracht, in der von Priestern geleiteten Schule angemeldet, wo mein Name Türen öffnet, habe ihn in kurzen Hosen im Senat fotografieren lassen. Von Anfang an erwies er sich als schlauer Schüler, interessiert an brasilianischer Geschichte, diskutierte er mit seinen Lehrern von Gleich zu Gleich, und eines Tages wurde er Kommunist. Meine Tochter sagt, er sei im Gefängnis umgebracht worden, aber das weiß man nicht so genau, ich weiß nur, dass ich den Anruf bekam, sein Kind aus dem Militärkrankenhaus abzuholen. Diesen Eulalinho habe ich wie einen eigenen Sohn großgezogen, habe ihm beigebracht, wie man Türen öffnet, ihn in kurzen Hosen mit roten Priestern fotografieren lassen, aber das Medikament hat merkwürdig geschmeckt. Ihr Gesicht gefällt mir nicht, Ihr gehässiges Grinsen erkenne ich nicht. Ich habe ein Brennen in der Speiseröhre, Sie haben mir dieses Soda zu trinken gegeben, und jetzt sterbe ich. Stehen Sie nicht herum und sehen mir zu, wie ich mich quäle, geben Sie mir wenigstens mein Morphin.
19
Du hast mich am Boden zerstört , aber ich bin wieder aufgestanden, du hast mich verletzt, aber ich habe dir verziehen, ich mag es, wenn die Waschfrau das da unten singt.
Weitere Kostenlose Bücher