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Vergossene Milch

Vergossene Milch

Titel: Vergossene Milch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chico Buarque
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wurde von da an sichtlich unbeschwerter. Sie hatte eine unkomplizierte Entbindung, ein Jahr lang stillte sie Eulalinho, mit ihrer mütterlichen Hingabe erinnerte sie an Matilde. Später hatte sie eine Phase von ungewöhnlicher Extrovertiertheit, sie hing am Telefon, schminkte sich, ging zu Vernissagen, lernte eine Malerin kennen und unterhielt sich mit ihr bis spätnachts im Wohnzimmer. Sie blätterten in Kunstbüchern, und oben an der Treppe hörte ich, wie Seiten umgeschlagen wurden, dazu hier und da ein Wort, das die Malerin murmelte: Expressionismus … Cézanne … Renaissance … Und vielleicht habe ich mich verhört, aber mir schien, als hätte ich auch Wörter aufgeschnappt, die Maria Eulália flüsterte: Eklampsie … Krämpfe … möge das Kind retten … Anfangs freute ich mich, wenn diese Malerin mit uns zu Abend aß, denn dann machte Maria Eulália etwas anderes als Spiegeleier mit Reis. Doch mit der Zeit nahm die Person sich Freiheiten heraus, äußerte Ansichten zur Einrichtung des Chalets, den Barocksekretär, den ich von meiner Mutter geerbt hatte, bezeichnete sie als plumpe Fälschung. Angesichts des Ölporträts meines Großvaters im Rokokorahmen bekam sie einen Lachanfall und sagte, so etwas nennen die Deutschen Kitsch. Dann ging sie dazu über, bei uns zu übernachten, und ich weiß nicht, ob das der Grund dafür war, dass Eulalinho reizbar wurde, er schrie und weinte Tag und Nacht. Um Eulalinho zu übertönen, stellte die Malerin Matildes Radio auf volle Lautstärke, ich wusste gar nicht, dass dieses Radio noch funktionierte. Schließlich brachte sie ihre Habseligkeiten ins Haus, ihre Farben und Leinwände, und machte das Wohnzimmer zum Atelier, und ich nahm das alles hin, weil ich Maria Eulália nicht verärgern wollte. Meine Tochter sah anders aus, ihr Blick war wacher, es war eine Freude, sie so zu sehen. Sie wäre rundum glücklich gewesen, hätte es nicht das Chalet gegeben, das nach Ansicht der Malerin schädlichen Einfluss ausstrahlte. Also gab ich nach und verkaufte das Haus meiner Träume. Das Bauunternehmen bezahlte uns mit zwei Apartments nebeneinander, jedes mit Wohn- und drei Schlafzimmern, im achten Stock eines Hochhauses hinter unserem Grundstück. Ich behielt die alten Möbel, außerdem Opas Porträt, und nach einigem Zögern nahm ich auch den Schrank mit den Kleidern meiner Frau und die Kommode mit ihrem Schmuck in der Schublade mit. Die beiden richteten ihre Wohnung mit stromlinienförmigen Sesseln und Tischen mit Streichholzbeinen ein, Maria Eulália kaufte sogar eine Musiktruhe mit einem Plattenspieler von Telefunken, sie, die sich nie für Musik interessiert hatte. Jetzt hörte sie Jazz, während die andere Collagen auf Dachpappe anfertigte und Eulalinho, weil er asthmatisch und allergisch war, Stunden und Stunden bei mir verbrachte. Er lebte sogar eine ganze Zeit bei mir, als meine Tochter mit der Malerin und einer Galeristin aus São Paulo nach Amerika fuhr, wo es angeblich einen Markt für experimentelle Kunst gab. Nach ein paar Monaten kam Maria Eulália allein zurück, und ich deponierte meine Berge von Illustrierten im Abstellraum. So konnte ich ihr ein eigenes Zimmer freimachen, denn ihre Wohnung war von der Bank gepfändet worden, um kolossale Schulden zu begleichen. Von der Malerin war nicht mehr die Rede, meine Tochter verstummte für lange Zeit, aber ich lernte, ihre stille Gesellschaft zu schätzen. Ich beobachtete sie schweigend, betrachtete ihre altmodische Schönheit, ihre Blässe, ihre ewigen Schatten unter den Augen, ihr längliches Gesicht, so wie das meiner Mutter. Und ich fragte mich, ob sie sich nicht von klein auf mit der Vermutung gequält hatte, dass ich in ihr eine Kopie von Matilde sehen wollte. Unvergessen ist mir, wie verblüfft sie reagierte, als ich sie aus meinem Schlafzimmer jagte, weil ich sie, inzwischen herangewachsen, in einem orangefarbenen Tailleur ihrer Mutter überraschte, das ihr zudem überhaupt nicht passte. Und ihre Freudenausbrüche in letzter Zeit sind vielleicht nichts anderes als unbeholfenes Theater, so wie bei einer Eule, die ins Sonnenlicht gerät und nicht recht weiß, was man von ihr erwartet. Wer weiß, vielleicht machte Maria Eulália sich sogar Vorwürfe, dass sie nicht als Junge zur Welt gekommen war, weil sie glaubte, ich hätte mit einem Stammhalter gerechnet. Aber selbst wenn es so wäre, sie hatte mich längst mit Eulalinho entschädigt, der für mich wie ein eigener Sohn wurde. Für ihn habe ich mir sogar

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