Vergraben
Holly.
Er sagte: »Oh.«
Kummer kam über sie wie ein Wetterumschwung. Doch Graham gab sich sichtlich Mühe, die Stimmung wieder aufzuheitern. Nathan fragte sich, wie viele Male am Tag diese Mühe nötig war.
»Und«, fragte Graham, »woher kennen Sie Holly?«
»Also …« Nathans Verkäuferlächeln fühlte sich aufgesetzt und festgefroren an, heuchlerisch wie das eines Wanderpredigers. »Wir haben uns sozusagen bei der Arbeit kennengelernt.«
June zog fragend eine Augenbraue hoch.
»Ich wollte ein Haus kaufen. So lernten wir uns kennen.«
»Aha.«
Eine weitere Stille brach herein; sie war nicht angespannt, aber es lag etwas Trauriges darin. Nathan fühlte sich von ihrem Gewicht erdrückt.
Er sagte: »Wir sind vor ein paar Wochen was trinken gegangen.«
June zog die Augenbraue noch einmal hoch. Graham goss Tee in eine Porzellantasse und fügte dann einen Schuss Milch hinzu.
»Es ist nicht besonders gut gelaufen«, erklärte Nathan, »um ganz ehrlich zu sein.«
»Tatsache ist«, sagte Graham, »dass Holly es in letzter Zeit leider ziemlich schwer hatte.«
Nathan schaute auf seinen Schoß, wischte an einem Fleck Blütenstaub herum und antwortete: »Ich weiß. Na ja, ich weiß, worum es geht. Ich meine, Holly hat es erwähnt.«
»Verstehe.«
Sie tranken Tee.
Nathan meinte: »Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.«
»Das ist sehr nett. Aber Sie müssen auch gar nichts sagen.«
Nathan nickte. Er spürte, dass Elise mit ihnen im Zimmer war. Ihn anstarrte. Mit Dreck in den Haaren und Nasenlöchern.
Ein Windstoß ging über die kleine Obstwiese, die hinter dem Garten lag.
Nathan sagte: »Ihr Haus ist sehr schön.«
»Es hat meinem Vater gehört«, erwiderte Graham.
»Wir wollten nicht, dass die Mädchen in der Stadt aufwachsen«, ergänzte June.
Nathan nickte.
»Holly hat in den letzten Jahren eine Menge auf sich genommen«, sagte June. »Aber wir wollen nicht, dass sie Angst bekommt vor dem Leben.« Sie blickte bedeutungsvoll auf die Blumen, die sich in der Kristallvase prächtig ausnahmen.
Nathan nickte zum Zeichen, dass er verstand. Er trank seine Tasse leer. Wie bei einer japanischen Teezeremonie schenkte Graham ihm augenblicklich nach.
»Deshalb sind wir froh, dass Sie hier sind«, sprach June weiter. »Weil wir finden, dass sie ein wenig Glück verdient hat. Ein bisschen Spaß .«
Später nahm er an, dass die alten Steinmauern das Geräusch des Autos in der Einfahrt gedämpft haben mussten, denn als Hollys Schlüssel ins Schloss glitt, war er überrascht. Vor Schreck stand er automatisch auf und verschüttete dabei beinahe seinen zweiten Tee. Beschämt blickte er zu June. Aber June winkte ihn zu den Blumen und trieb ihn zur Eile an.
Aus der Diele rief Holly: »Wem gehört das Auto da neben der Einfahrt?«
Graham machte ein fröhliches, verschwörerisches Gesicht und fragte laut: »Tee, Liebes?«
»Au ja!«
Nathan hörte es rumoren, als sie etwas absetzte, dann den Mantel auszog und aufhängte.
Er stand mit den tropfnassen Blumen in der Hand da.
Holly kam in die Küche. Sie trug kein Make-up und hatte ihr Haar hastig zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Ihre Wangen waren rot vor Kälte. Sie hatte einen Pullover mit Zopfmuster, alte blaue Jeans und dicke graue Wandersocken an. In einer Hand hielt sie einen Katzenkäfig.
Sie sah Nathan an, als wüsste sie im Moment nicht, wo sie ihn hinstecken sollte.
Dann sagte sie: »Oh.«
Nathan lächelte und streckte ihr die Blumen entgegen.
»Weil es mir leid tut.«
Sie hielt noch immer den Katzenkäfig in der Hand.
»Was tut dir leid?«
»Dass ich alles vermasselt habe.«
»Das hast du nicht.«
»Okay. Dann tut es mir leid, dass alles nicht so gelaufen ist, wie ich gehofft hatte.«
»Das war auch nicht deine Schuld.«
»Trotzdem tut es mir leid.«
»Wie hast du herausbekommen, wo ich wohne?«
Darauf war Nathan nicht vorbereitet.
»Im Ernst«, fragte sie, »wie hast du herausbekommen, wo ich wohne?«
»Ich habe nachgesehen. Im Telefonbuch.«
»Wir stehen nicht im Telefonbuch.«
»In einem alten. Ich hab eine Menge alte Telefonbücher. Na ja, sie gehören nicht mir. Sie liegen in meiner Wohnung. In einem Schränkchen. Bei den Zählern.«
»Und woher wusstest du, in welchem Dorf du suchen musst?«
»Du hast es erwähnt.«
»Daran kann ich mich nicht erinnern. Normalerweise erwähne ich so etwas bewusst nicht.«
Er zuckte mit dem Schultern, als täte es ihm leid. »Du hast es aber erwähnt.«
Ihr steinharter, skeptischer
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