Vergraben
Holly waren beide leicht angetrunken. Zehn Minuten lang küssten sie sich auf der Türschwelle. Dann holte Holly ihren Schlüssel heraus und machte auf.
In der Diele sagte sie nichts. Er folgte ihr leise nach oben – wo sie ihm das Gästezimmer zeigte. Darin stand ein kleiner Waschtisch. Saubere Handtücher, eine Tube Aquafresh-Zahnpasta. Es lag sogar eine noch originalverpackte Zahnbürste für ihn bereit. Holly sagte: »Gute Nacht«, und machte die Tür zu. Nathan zog Schuhe, Socken und Hemd aus und beugte sich über den Waschtisch, um sich die Zähne zu putzen und das Gesicht zu waschen. Das Vorhandensein des Tischchens verpflichtete ihn dazu.
Ein zögerliches Klopfen an der Zimmertür.
Er flüsterte: »Komm rein.«
Holly war barfuß und trug einen cremefarbenen Seidenpyjama. Er sah sie an und fühlte sich unsicher und sah wieder weg.
»Alles in Ordnung?«, fragte sie.
»Ja, alles klar.«
Sie machte ein belustigtes Gesicht.
»Dann gute Nacht.«
»Gute Nacht.«
Sie schloss die Tür. Er hörte sie wie einen Einbrecher zurück in ihr Kinderzimmer schleichen.
Er legte sich hin und schloss die Augen.
Er öffnete sie wieder.
Vielleicht war das hier Elises Zimmer gewesen.
Aber er wusste, dass das nicht sein konnte. Von all den Orten, wo er seit dem Abend von Mark Derbyshires Weihnachtsparty gewesen war, war dieses Haus der einzige, an dem Elise Fox nicht war. Ihre Abwesenheit war vollkommen.
Nathan schaltete die Nachttischlampe aus. Seine Augen waren nicht vorbereitet auf die ungewohnte Dunkelheit. Sie brauchten lange, um sich an die mondbeschienenen Umrisse des Zimmers zu gewöhnen. Aber er musste geschlafen haben, allein in der Dunkelheit, denn er erwachte bei den ersten Tönen des morgendlichen Vogelkonzerts.
Er stand auf und zog sich an. Er zog die Bettdecke ab und legte sie gefaltet neben die benutzten Handtücher. Er schlüpfte zur Haustür hinaus.
Draußen war es kalt und nass. Er war müde, und der Motor machte in der ländlichen Stille ein lautes und einsames Geräusch.
Er fuhr zuerst nach Hause, um zu duschen und sich zu rasieren, und kam nicht zu spät zur Arbeit.
20
Am Anfang wussten sie manchmal nicht, wohin sie gehen sollten. Theater- oder Kinobesuche kamen ihnen unnatürlich vor – aber es herrschte ein stillschweigendes Abkommen zwischen ihnen, dass Nathan Holly nicht in seine Wohnung einladen durfte, nicht einmal, um ein Video anzusehen und chinesisches Essen zu bestellen. Der Moment, in dem sie seine Türschwelle überschreiten würde, wäre mit zu viel Bedeutung aufgeladen.
Also trafen sie sich mittags und aßen in einer nahegelegenen Brasserie, oder sie verabredeten sich nach der Arbeit und unterhielten sich ein, zwei Stunden in einer ruhigen Ecke eines Pubs oder einer Weinbar. Mit der Zeit verflüchtigte sich Nathans fixe Idee, ihr ständig etwas Neues bieten zu müssen, und ein Ort wurde zu ihrem Stammlokal: eine mit Steinplatten ausgelegte Bar im Keller eines italienischen Restaurants. Oft war sie leer bis auf die mageren russischen Kellnerinnen, die auf einer billigen Stereoanlage Achtzigerjahre-Popmusik abspielten. Aber auch dann setzten sie sich in eine Ecke und bestellten etwas zu essen und eine Flasche Wein. Holly erzählte ihm von ihrem Tag. Er bekam viel mit vom Arbeitsalltag einer Immobilienmaklerin. Und er bekam mit, dass Holly mit ihrer Arbeit nicht glücklich war.
Sie hatte in Southampton BWL studiert. Graham und June wäre es lieber gewesen, wenn sie etwas anderes studiert hätte, etwas Sinnloses wie Englisch, aber Holly hatte das damals nicht eingesehen, und sie sah es auch jetzt nicht ein. Seit sie vierzehn war, hatte sie davon geträumt, ihre eigene Firma zu leiten.
Wegen Elise hatte sich alles verändert. Der Job im Immobilienbüro war eigentlich als Übergangslösung gedacht, etwas, was Geld brachte, bis das Leben der Familie wieder im Gleichgewicht war. Aber ihr Leben war noch immer nicht im Gleichgewicht, und Holly war noch immer Immobilienmaklerin.
Sie konnte ihren Chef, einen Idioten namens Neil, der eine Achtzigerjahre-Haartolle trug und einen turbogeladenen BMW fuhr, nicht ausstehen. Er war etwa zweiundzwanzig und hatte noch Pickel am Kinn, aber vier Kinder und ein hässliches Haus, mit dem er ständig angab.
Holly hatte noch immer vor, ihr eigener Chef zu werden. Es lag nicht einmal am Startkapital – ihre Eltern könnten zur Not eine Hypothek auf ihr Haus aufnehmen, und sie hatte Ersparnisse, schließlich hatte sie nun ziemlich lange keine Miete
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