Verhängnisvoll - Felsing, K: Verhängnisvoll
grinste. Milchschaum auf heißem Cappuccino.
Narsimha Mishra. Ein Brasilianer war er sicher nicht. Sie war noch keinem begegnet, dem nicht ein portugiesischer Akzent anhaftete. Das war natürlich kein Ausschlusskriterium, aber … irgendwie waren es seine Augen, die nicht zu einem feurigen Hispanoamerikaner passten. Er war kein Latin Lover. Das machte ihn nicht weniger interessant, im Gegenteil. Wenn sie gewusst hätte, wo er sich in seiner Freizeit so herumtrieb, hätte sie arg dagegen ankämpfen müssen, zur Cheerleaderin oder zu einer Boxenbraut zu werden, um ihrem Star zuzujubeln. Wäre es nicht so verflixt eigensüchtig, hätte sie sogar in Betracht gezogen, Mikayla Costello zu besuchen und sie nach ihren Bodyguards auszufragen. Natürlich war das in Anbetracht der Vorgeschichte völlig unmöglich, aber träumen durfte man doch wenigstens.
Die braunen Augen hielten sie fest in ihrem Bann, wiederholten das Feuerwerk der Emotionen, das sich darin gespiegelt hatte. Deutlich genug hatte sie Begehren aufflammen sehen und gleich darauf Ablehnung. Einen heftigen Widerstreit, den Narsimha nicht zu vertuschen schaffte. Reese liebte Menschen, in deren Augen man lesen konnte, erst recht sehnte sie sich nach einem Partner, der es schaffte, auch ihr die Wünsche von den Augen abzulesen. Stumme Kommunikation, ein Verstehen ohne Worte – das bedeutete Nähe, Vertrauen und Zartgefühl. Breite Schultern waren kein Muss, aber wenn sie zum Anlehnen aufforderten, würde sie die Einladung nur zu gern annehmen. Narsimha Mishra bot auf den ersten Blick alles, was sie sich von einem Mann erträumte und sie hätte nichts dagegen gehabt, einen zweiten Hinschauer zu riskieren. Und einen dritten. Im Gegensatz zu ihrem Beruf, in dem sie täglich ihren Mann stand, hätte sie keine Einwände, im Privatleben aller Emanzipation zum Trotz hin und wieder in die Rolle des weichen, schutzbedürftigen Weibchens zu schlüpfen und sich vertrauensvoll in starke Arme fallen zu lassen. Narsimha hatte den Eindruck erweckt, dass er mit diesem Rollenspiel zurechtkommen könnte und eine starke Frau mit einer weichen Kehrseite zu schätzen wüsste. Allein wegen seiner Ausstrahlung malte sie sich aus, dass eine Frau – seine Frau – bei ihm in der Lage wäre, den Titel Göttin zu erlangen und gleichzeitig ließ sein Charisma keinen Zweifel, wer dennoch der unbestrittene Herrscher blieb. Einen normalsterblichen Amerikaner hätte Reese Macho genannt. Dieser Exot hingegen verkörperte die Rolle in Perfektion und gab dabei das bewundernswerte Bild eines sagenumwobenen, heldenhaften Kriegers ab.
Heiliger! Sie verlor sich in Götzenanbetung. Allmählich verfiel sie in einen Narsimha-Wahn. Besser, sie vergaß die Begegnungen und kehrte in die Realität zurück.
Unweigerlich bedeutete das die Erinnerung an John Smith. Und an Maggie Garner. Obwohl es sie außer aus ärztlicher Sicht nichts anging, verfolgte das Schicksal des Mädchens sie in ihr Privatleben und Reese verspürte einen unbändigen Drang, mehr über Maggie zu erfahren. Jeder Uni-Professor predigte, sich eine harte Schale zuzulegen und spätestens nach dem Studium lernte man, dem Ratschlag Folge zu leisten, um nicht unter der Last vieler tragischer Schicksale zu zerbrechen. Dennoch fand Reese es richtig, sich von ihren Gefühlen leiten zu lassen, davon wollte sie nicht abrücken.
In Gedanken vertieft, zuckte sie heftig zusammen, als es an der Tür klingelte. Mit der Schulter stieß sie gegen die Kaffeetasse, die klirrend auf den Fliesen zerbrach. Dazu schwappte eine Ladung Wasser über den Wannenrand. Elender Mist, jetzt durfte sie eine gehörige Sauerei beseitigen und ihr Lieblingskaffeebecher hatte es auch hinter sich. Der Gong übertönte erneut die noch immer spielende Musik. Reese trat vorsichtig aus der Wanne und wickelte sich in ein Badetuch. Ob Detective McGee und sein Kollege noch etwas von ihr wollten? Der Name fiel ihr schon wieder nicht mehr ein. Nat und Alana waren noch zu beschäftigt damit, ihr neues Zuhause einzurichten, als dass sie vorbeikämen. Außerdem hatten sie beide einen Schlüssel und würden allenfalls an der Tür klopfen.
Reese nahm die Gegensprechanlage ab und drückte auf einen Knopf. „Wer ist da?“
„Narsimha Mishra.“
Ihr fiel der Hörer aus der Hand. Mit einem Krachen schlug er gegen die Wand und sie verhedderte sich beinahe in dem langen Kabel, während sie ihn hastig zurückangelte. Ihre Finger zitterten, als sie die Hörmuschel wieder ans Ohr
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