Verhängnisvoll - Felsing, K: Verhängnisvoll
übernehmen.
„Schlaf gut, Maggie. Bis bald.“
Dakota weint. Ben hört sie leise in ihrem Zimmer schluchzen. Mehrmals ist er aufgestanden und hat sich über den Flur bis an ihre Tür geschlichen. Er traut sich auch jetzt nicht, den Knauf zu berühren. Wenn Dad ihn erwischt, wird er sich eine Tracht Prügel vom Feinsten einfangen.
Erst vor wenigen Tagen hat sein Lehrer ihn nach dem Unterricht beiseitegenommen und ihn nach dem Veilchen ausgefragt, das sein linkes Auge verunstaltet. Ben hat sich lange vorher eine Ausrede ausgedacht, ihm stammelnd von einer Schlägerei mit Jungen aus dem Nachbarviertel erzählt. Mr. Oatman hat ihn gehen lassen, aber ob er ihm geglaubt hat, steht auf einem anderen Blatt. Gott sei Dank haben am nächsten Tag die Ferien begonnen. Mommy ist mit Tami und Sally zu Grandma und Grandpa gefahren.
„Jemand muss sich um den Haushalt kümmern und Essen für Dad kochen, wenn er von der Arbeit kommt“
, hat Mommy erklärt.
„Dakota ist alt genug, sie kann das für ein paar Tage übernehmen und du wirst ihr helfen, hörst du, Ben?“
Er zittert. Seine nackten Füße brennen vor Kälte und seine Schritte sind ganz steif, als er in sein Zimmer zurückschleicht.
„Zu Ostern sind wir zurück.“
Mommy hat gelogen. Heute ist Ostersonntag und sie hat sich nicht ein Mal gemeldet.
„Dakota“
, hat er am Nachmittag gesagt und seinen liebsten Blick aufgesetzt,
„wollen wir nicht bei Granny anrufen?“
Sie ist seinem Blick ausgewichen und hat nur abfällig ein
„Baby!“
ausgestoßen. Okay, er ist zwölf und sie fast siebzehn, aber sie braucht ihn nicht immer so zurückzustoßen. Immerhin hat er sich für sie ins Zeug gelegt. Weder sein Veilchen noch der riesige Bluterguss am Bauch gleich unter den Rippen stammen von ungefähr.
„Hol mir ein Bier!“
, hört er erneut Dads Befehl von heute Nachmittag und Dakota schnauzt aus der Küche zurück:
„Hol’s dir selbst.“
Das Poltern, das daraufhin aus dem Wohnzimmer herüberschallte, hat Ben vom Küchenstuhl aufspringen lassen. In der Tür versuchte er, sich Dad entgegenzustellen. Nicht zum ersten Mal, wenn Dakota Gefahr läuft, sich Schläge einzuhandeln. Es hat nicht geholfen. Dads Faust traf ihn und schleuderte ihn zu Boden. Er hat sich zusammengekrümmt, nach Luft gerungen. Er glaubte, zu ersticken und hat nur noch Sterne gesehen. Sein Versuch, aufzustehen, scheiterte, weil er vor Schmerz und Schwindel gleich wieder umkippte. Zitternd hat er beobachtet, wie Dakota ein Messer aus der Schublade gerissen hat und sich breitbeinig vor Dad stellte.
„Wag es nicht!“
, hat sie voller Hass gebrüllt. Dad ist auf sie zugetaumelt und sie hat die Klinge nach vorn gestoßen. Getroffen hat sie ihn nicht. Er hat sie einfach ignoriert und sich gleich drei Dosen aus dem Kühlschrank genommen. Das Zischen vom Öffnen der ersten klingt noch in Bens Ohren nach. Er hat sich aus dem Türbereich gerobbt, damit Dad nicht gegen ihn tritt. Dafür hat ihn die fast leer getrunkene Bierdose mit Wucht an der Schulter getroffen. Dakota stand noch einen Moment reglos, dann hat sie ihn aufgefordert, aufzustehen und die Sauerei wegzumachen. Er hat es nicht geschafft, ist immer wieder umgefallen. Schließlich befahl sie ihm, abzuhauen. Mit Mühe hat er sich in sein Zimmer geschleppt, Stunden gebraucht, bis er wieder richtig atmen konnte.
Im Haus ist es endlich still, als er in die Küche schleicht. Dakota hat alles sauber gemacht. Zu essen gibt es nichts, auch der Kühlschrank ist leer bis auf ein Sixpack Bier. Ben knurrt der Magen, doch er weiß nicht, ob er überhaupt essen könnte, selbst wenn etwas da wäre. Er reibt sich den Bauch und die Schulter. Die Schmerzen sind halbwegs zurückgegangen, er kann sie ignorieren. Darin ist er geübt.
„Die Polizei“, flüstert er. „Ruf die Polizei.“
Er hält den Atem an, lauscht. Greift zum Telefonhörer an der Wand. Ihm ist, als erhielte er einen weiteren Boxhieb. Die Leitung ist tot.
Bhenchod! Er war so ein Idiot!
Statt sich einen Weg zu erarbeiten, wie er Informationen aus Reese herausbekommen könnte und auf eine vertrauensvolle Zusammenarbeit hinzusteuern, hatte er ausschließlich seinen Gefühlen den Vorrang gegeben, die gnadenlos jedes andere Motiv in den Boden stampften. Nicht ein Mal hatte er an sein Vorhaben gedacht, obwohl er sich vollkommen darüber im Klaren gewesen war, wohin ihn das brachte. In eine emotionale Situation, der er sich nicht gewachsen fühlte.
„Qujaka wunkaiki waki mokanga sowaki
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