Verhängnisvoll - Felsing, K: Verhängnisvoll
Raum. Es ist noch keine fünf, er hat höchstens zwei Stunden geschlafen. Die Luft ist zum Schneiden dick, der ekelhafte Gestank scheint sich immer weiter zu verdichten. Als Ben die Beine aus dem Bett schwingt, schießt ihm ein scharfer Schmerz unter die Rippen. Er presst die Hände auf den Bauch, unterdrückt einen Aufschrei. Auf keinen Fall will er Dad wecken. Und Dakota schon gar nicht. Sie weint nicht mehr, also wird sie endlich eingeschlafen sein. Er wünscht ihr einen traumlosen Schlaf.
Gestern in der Küche hat er sich für die Nutte entschuldigen wollen.
Was ist er blöd gewesen. Langsam löst Wut auf sich die Scham ab, die ihn seit Monaten immer wieder am liebsten im Boden versinken lassen will. Seit er weiß, was das Wort Nutte tatsächlich bedeutet, nimmt er Dakota die Ohrfeige nicht mehr übel. Wie blöd. Er ist mal wieder der Letzte, der es kapiert hat und es hat beinahe drei Jahre gedauert. Das war es, was er ihr sagen wollte.
Er hat so sehr gehofft, sie möge ihn anhören und ihm verzeihen. Dass sich das Verhältnis zu Sally wieder bessert, denn die Mädchen hängen aneinander wie Kletten. Selbst Tami zeigt ihm die kalte Schulter.
„Jungs sind doof.“
Er ist ein guter Beobachter. Die Klassenkameradinnen fangen kurz nach der Primary School an, sich zurückzuziehen. Wenn sie dann dreizehn, vierzehn sind, beginnen sie, sich für die älteren Jungs zu interessieren. Sie starren zu ihnen herüber. Heimlich versteht sich – sie tun ganz unbeteiligt. Die Jungs-sind-doof-Phase nimmt er Tami nicht krumm. Irgendwann wird er wieder ihr toller großer Bruder sein.
Erneut starrt Ben auf die Uhr. Die Ziffern der Digitalanzeige wollen sich nicht verändern. Der Mief auch nicht. Er lauscht. Es ist totenstill.
Irgendwann gibt er sich einen Ruck und steht auf. Barfuß schleicht er in den Flur, verharrt an Dakotas Tür, lauscht. Er hört sie nicht – nicht einmal ein Rascheln ihrer Decke. Ben schleicht weiter in die Küche. Nichts hat sich verändert, seit er vor Stun-den nach etwas Essbarem gesucht hat. Doch. Er tritt um die Kochinsel herum. Die Schublade mit den Messern steht offen. Er versucht, sich zu entsinnen und ist ganz sicher: Vorhin war sie geschlossen. Ihm wird schlecht, kaum schafft er es, einen Brechreiz zu unterdrücken. Er stürzt ans Fenster und reißt es auf. Die Nacht weht frische Luft in den Raum und doch dreht sich sein Magen. Der metallische Gestank wird aufgewirbelt.
„Dakota!“
Tränen fließen ihm über das Gesicht, verschleiern seinen Blick. Etwas stimmt nicht. Ganz und gar nicht. Es ist viel zu still im Haus und alles riecht nach Blut. Er hätte sofort aufspringen sollen. Plötzlich steht er in der Tür zum Schlafzimmer. Er wagt kaum, zu atmen. Seine Finger zittern und er muss sich am Türrahmen festhalten, um nicht zu schwanken. Irgendwann findet er den Lichtschalter.
Er kippt den Hebel. Schreit!
Sein Blickfeld verschwimmt. Er will nicht sehen, was die Bilder ihm vorgaukeln.
„Komm Ben, ich helfe dir beim Baden.“
Er starrt die Frau an, die ihren Arm um seine Schultern gelegt hat, und versucht, sich aus ihrem Griff zu winden. Er muss aus dem Fenster blicken, wissen, was drüben bei ihm zu Hause vor sich geht. Blaue und rote Lichtreflexe rotieren im Zimmer. Es ist noch nicht ganz hell. „Dakota“, wispert er. „Sally. Tami. Mommy.“
„Sie kommen nachher. Ganz bestimmt“, hört er wieder die Stimme der Nachbarin. „Ich habe mit deiner Granny telefoniert. Sie sind alle auf dem Weg.“
Er weiß das, hat es gehört. Genau wie das Gespräch mit der Polizistin. Sie hat Mrs. Flythe erlaubt, ihn zu waschen. Jemand von der Fürsorge ist auch unterwegs. Er glaubt nicht, dass Mommy und Sally kommen werden. Heute nicht. Morgen vielleicht. Wenn irgendwer Dad und Dakota weggebracht hat. Wer wird das Haus putzen?
Ben behält seine Füße fest im Blick. Sie sind mittlerweile braun. Der Matsch, der an seinen nackten Sohlen kleben geblieben ist, als er über die Wiese hergerannt ist, ist nur äußerlich. Darunter brennt das Blut seines Vaters. Ben sieht die Lache vor sich, die von Dads halb aus dem Bett hängendem Oberkörper auf den Boden getropft ist, und in der er gestanden hat, um zu Dakota hochzuklettern.
Er hat auf nichts geachtet, nur das Messer geschnappt, das auf dem Boden lag, um sie loszuschneiden. Ihre Füße sind ständig gegen seine Knie gewippt, während er versucht hat, das Seil um ihren Hals zu lösen. Als das nicht geklappt hat, hat er es über ihrem Kopf vom
Weitere Kostenlose Bücher