Verhängnisvolles Gold
aus, die leicht gegen meine Wangen streicht.
»Lass ihn mich für dich retten. Lass mich das für dich tun«, fleht er. Seine Finger streichen über den Stoff meines Anoraks.
Ich presse die Lippen zusammen. Es fühlt sich an, als würden sich hinter meinen Augenlidern Tränen sammeln, aber ich lasse sie nicht hinaus. Nein.
Das Wasser stürzt in die Tiefe und im Nebel wölben sich die Regenbogen. Ich zähle bis fünf, und dann schaue ich zu Astley auf, der kaum merklich mit dem Kopf nickt.
»Okay«, sage ich. »Okay, aber bitte tue alles dafür, dass du ihn auch findest, Dad. Bitte.«
Als ich Dad sage, schließt er für einen winzigen Moment die Augen, dann sagt er: »Das werde ich.«
Er lässt meine Schultern los und küsst mich flüchtig auf die Wange. »Danke, dass du mir die Chance gibst, der Mann, der Vater zu sein, der ich immer sein wollte.«
Die Tränen fließen aus meinen Augen. Dann wendet mein Vater sich an Astley: »Wenn etwas passieren sollte …«
»Wir werden uns um einander kümmern«, betont Astley. »Viel Glück, Sir .«
Die Schultern meines Vaters heben sich ein bisschen an, als er nickt. »Du bist eine schöne, starke Königin, Zara, stärker, als ich je sein könnte. Du machst mich stolz. Ich werde bald zusammen mit deinem Wolf zurück sein.«
Wie die Inschrift vorschreibt, dreht mein Vater sich zum Wasserfall. Und wenn es ein Fehler war, ihm zu trauen? Wenn er mich hintergeht und Nick als Geisel zum Austausch mit meiner Mutter nimmt? Trotz des glitschigen Bodens geht er leichtfüßig. Am Rand des Abgrunds wirft er den Stein. Dann hebt er die Arme und schreit mit einer Stimme, die fast so laut ist wie das donnernde Wasser: »Bring mich zu den Göttern.«
Der Boden bebt, als wollte die ganze Welt auseinanderbrechen. Astley eilt genau in dem Augenblick an meine Seite, als ich zu meinem Vater treten will. Sein Arm hält mich zurück, und da springt ein gigantischer Wolf aus dem Wasserfall. Aufschreiend taumle ich nach hinten. Der Wolf ist bestimmt sechs Meter hoch. Ein Stück Kette baumelt an einem Halsband. Vom Wasser ist sein Fell ganz dunkel. Aus dem aufgerissenen Maul ragen lange Fangzähne auf wie gewaltige, monströse Speere.
»Nein!«, schreie ich auf, als mein Vater zur Seite springt. Aber es gibt kein Entrinnen. Das Maul des wilden Tiers öffnet sich im Sprung noch weiter und verschlingt meinen Vater in einem Stück. Er ist weg. Einfach weg.
Der Wolf landet flach auf dem Boden. Sein Kopf schwenkt zu uns. Große, böse Augen weiten sich heimtückisch.
Vor Schreck bin ich wie gelähmt.
»Ein, ein W-w-w-olf«, stottere ich. »Ein rie- riesiger Wolf.«
»Fenrir«, murmelt Astley. Er legt den Arm um meine Taille, springt gleichzeitig zur Seite und nach hinten, taucht in einen Himmel aus Regenbogen und Nebel ein und fliegt mit uns davon. Einen Augenblick lang wehre ich mich schreiend gegen ihn, aber dann füge ich mich. Mein Vater ist weg. Noch ein Vater ist … weg.
Der Wolf springt mit schnappenden Kiefern zu uns hoch.
»Astley!«
»Halt dich fest!«, brüllt er, während ich versuche, auf seinen Rücken zu klettern. Die eisige Luft pfeift an uns vorbei, und auf unserer Haut bildet sich Eis, aber Astley schraubt sich immer weiter in den Himmel hinauf, weg von den Pranken des Wolfs, weg von noch einem Verlust, von noch einem Tod.
Ich klammere mich an Astley. Unter uns heult der Wolf. Schließlich wendet er sich ab, denn wir schweben mehr als dreißig Meter über ihm in der Luft, und stürzt sich auf das Auto.
»Oh, nein!«, schreie ich, als er auf dem Kühler landet und ihn zerdrückt. Er heult noch einmal triumphierend auf und läuft davon.
Es ist so vollkommen verrückt, so unwirklich …
»Mein Vater …«, flüstere ich in Astleys Ohr.
»Ist als Held gestorben«, sagt er. »Er ist auf der Seite des Guten gestorben.«
Ich kann nichts anderes tun, als mich an Astleys Rücken klammern, mein Gesicht im Stoff seines Anoraks verbergen und weinen.
Er landet in der Nähe des Autos. Zum Glück ist der Fahrer noch am Leben und telefoniert mit seinem Handy nach einem Abschleppwagen. Dann überlegen er und Astley gemeinsam, wie sie den Schaden erklären sollen. Astley leitet dann flüsternd die Suche nach Vander in die Wege. Ich achte nicht mehr auf die beiden, sondern suche den Horizont nach dem riesenhaften Wolf ab. Mein Körper hört nicht auf zu zittern. Mein Vater ist gestorben. Das Monster, vor dem wir solche Angst hatten, ist für mich gestorben. Das ergibt keinen Sinn
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