Verhängnisvolles Gold
sagte Betty mir einmal, man könne einen Raubüberfall, vielleicht sogar eine Vergewaltigung verhindern, indem man so tut, als müsse man sich übergeben. Mal sehen, ob sich so auch Elfen täuschen und ein Mord verhindern lassen. Ein ersticktes, trockenes Würgen dringt aus meiner Kehle. Das genügt, damit Vander seinen Griff ein bisschen lockert, das Messer liegt nicht mehr mit der scharfen Klinge an meinem Hals.
»Was soll ich …?«, fängt er an.
Aber er beendet seinen Satz nicht, denn ich ramme ihm den Ellbogen in den Magen und mache einen Satz nach rechts auf das geschlossene Fenster zu. Meine Schulter kracht durch das Glas. Der Schmerz strahlt den ganzen Arm hinunter und in den Nacken hinein. Mein Körper folgt durch das zerbrochene Glas in die kalte Luft hinaus. Kein Wort kommt mir über die Lippen, als ich durch die Schneeflocken falle, und der Erdboden rasch näher kommt.
Ich sollte die Augen schließen.
Aber ich mache es nicht.
Mein Körper kippt zur Seite. Durch den Luftzug geht der Bademantel auf und der Stoff bauscht sich über mir. Ich breite die Arme aus und sehe wahrscheinlich aus wie ein fallender Engel. Die Motorgeräusche der Autos unter mir werden lauter. Entweder lande ich auf einem Auto oder auf dem harten Straßenpflaster. Mein Körper wird zertrümmert sein und platt. Hoffentlich geht es schnell. Hoffentlich.
Ich schließe die Augen.
Hände ergreifen meinen Bademantel und bringen mich von meinem geraden Kurs nach unten ab. Astley. Ich versuche, nach ihm zu greifen. Leise fluchend reißt er mich an die Brust, während aus meinem Fall zuerst eine Bewegung zur Seite hin wird und dann nach oben.
»Astley!«, schluchze ich.
»Wir werden einander immer retten«, flüstert er in meine Haare. »Halt dich fest.«
Und dann fliegen wir in den Nachthimmel hinein.
Als wir beim Flughafen ankommen, bin ich vollkommen durchgefroren. Unserer Landung hinter einem großen Lastwagen ist schrecklich hart. Astley entschuldigt sich, reibt meine Arme und hilft mir, den Bademantel wieder zuzubinden. Vor lauter Zittern schaffe ich es nämlich nicht allein. Er will schnell in ein Geschäft laufen und mir warme Kleider, einen Mantel und Schuhe besorgen.
»Ich mache, so schnell ich kann«, versichert er mir. »Hock dich neben den Reifen. Kaure dich zu einem Ball zusammen. Das hilft.«
Unsere Handys, unsere Koffer und unsere Taschen sind noch im Hotel, und unser Flieger geht erst am nächsten Morgen, aber wir sind zu dem Ergebnis gekommen, dass der Flughafen der sicherste Ort ist. Dort sind viele Menschen. Und es ist warm.
»Was ist mit unseren Pässen?«, frage ich.
»Ich habe sie dabei, Ich habe sie die ganze Reise über am Körper getragen. Was Pässe angeht, bin ich paranoid.«
»Zum Glück.«
Seine Augen sind so traurig. »Ja. Zum Glück.«
Er geht, und während ich warte, donnert ein Flugzeug über mich hinweg. Ich drücke den Rücken gegen den Reifen, denn ich möchte nicht, dass sich irgendetwas von hinten an mich anschleicht. Obwohl ich schrecklich müde bin, schlafe ich erst drinnen auf einem Stuhl ein, nachdem ich neu eingekleidet bin und meine Schulter verbunden ist. Astley hat den Arm um meine Schulter gelegt, um mich zu wärmen oder mir Sicherheit zu geben oder was auch immer. Jedenfalls schiebe ich ihn nicht weg. Keine Ahnung, warum. Ich kann es einfach nicht. Ich brauche ihn.
Die Anspannung in der kleinen Stadt Bedford in Maine stieg noch an, nachdem ein weiterer jugendlicher Bewohner vermisst wird, diesmal ein Mädchen. Es wurde Berichten zufolge zuletzt gesehen, als es den YMCA in Richtung Wald verließ.
– CNNS NEWS
Während des Rückflugs fällt es mir schwer zu reden oder auch nur zu denken. Durch die Lüftungsdüse wird mir eklig alte, ausgetauschte Luft ins Gesicht geblasen, immer und immer wieder dieselbe. Das erinnert mich an mein Leben. Ich versuche zu helfen, Menschen werden getötet. Ich versuche ein Held zu sein, Menschen sterben. Astley legt mir wieder den Arm um die Schulter, und ich widerspreche nicht, denn ich weiß, dass auch er weiß, wie es ist, wenn jemand für einen gestorben ist, wenn man diese Bürde tragen muss. Ich strecke die Hand aus, um die Lüftung abzudrehen, aber die Düse ist kaputt. Die Luft strömt einfach weiter heraus. Schließlich geben wir beide der Erschöpfung nach und sitzen, die Köpfe gegeneinander gelehnt, einfach still da, während wir über den Wolken dahinrasen.
Endlich zu Hause angekommen, nimmt Betty mich in die Arme und flüstert:
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