Verhängnisvolles Gold
zurückholen. Jetzt machen wir den ersten großen Schritt. Genau jetzt! Frauenpower, Mädels. Frauenpower.«
Cassidy verdreht die Augen, weil ich ihr ein bisschen sehr nach Cheerleading-Film freigegeben ab sechzehn klinge. Wir steigen aus. Während Issie das Auto abschließt, betrachten wir das Gebäude, in dem die Bar untergebracht ist: Es ist nur ein Stockwerk hoch und an den weißen Wänden zeichnen sich dunkle Schmutzflecken ab.
»Nicht mal der Schnee kann die Hässlichkeit zudecken«, murmelt Cassidy, als wir eilig den Parkplatz überqueren. Unsere Füße hinterlassen Spuren im frisch gefallenen Schnee.
Vor dem Eingang bleiben wir stehen. Die Bar befindet sich an der einen Seite des öffentlichen Parkplatzes von Bar Harbour. Im Sommer ist die Stadt voller Touristen, im Winter dagegen ziemlich verlassen. Fast alle Geschäfte auf der Cottage Street und Maine Street sind verbarrikadiert und mit Schildern behängt: Im Mai sind wir wieder für Sie da.
»Das fühlt sich total verlassen an hier«, flüstert Cassidy.
Wir schreiten jetzt nicht mehr kräftig aus, sondern schleichen uns fast auf Zehenspitzen an das Gebäude heran, zu dem es zwei Eingänge gibt. Einer ist auf der Cottage Street, der andere zeigt zum Parkplatz.
»Hmmmm«, meint Issie. »Ich weiß, dass ich immer Angst habe, eingesperrt, verhaftet oder sonst was zu werden, deshalb brauche ich jetzt wohl nicht betonen, wie groß meine Sorge ist, dass sie unsere Ausweise sehen wollen.«
»Wir wollen doch nicht einmal Bier trinken«, sage ich und versuche sachlich und beruhigend zu klingen, obwohl mir das natürlich auch Angst macht.
»Manche wollen die Ausweise schon am Eingang sehen«, erwidert Issie.
»Und woher willst du das wissen?«, frage ich. »Soweit ich dich kenne, bist du keine große Barbesucherin.«
»Ich hole mir solche Infos im Netz.« Issies Stimme wird vor Verlegenheit eine Oktave höher.
»Issie hat recht«, beharrt Cassidy. »Manche wollen den Ausweis am Eingang sehen.«
»Na dann … ähm …« Ich weiß nicht, was ich sagen soll, und scharre mit den Fersen im Schnee.
Issie wirft den Kopf nach hinten: »Vielleicht kannst du was in Richtung Gedankenkontrolle machen? Du bist doch jetzt ein richtiger Elf. So was wie die Jedi in Star Wars …?«
Ich nehme ihre behandschuhte Hand in meine. »Das kann ich, glaube ich, nicht, aber es ist schon in Ordnung … Wir werden damit klarkommen. Gemeinsam.«
Ich stoße die Stahltür auf, aber dahinter kommt kein Türsteher zum Vorschein und auch sonst niemand, der unsere Ausweise sehen will. Vielmehr ist die Bar so überfüllt, dass uns gar niemand bemerkt. Außerdem glaube ich sowieso, dass unsere Kostüme uns älter aussehen lassen. Dennoch stimmt irgendwas nicht, und all meine inneren Gefahrsensoren sagen mir laut und deutlich, dass ich auf der Stelle kehrtmachen und heimgehen sollte. Nicht nur weil Issie, Cassidy und ich absolut zu jung sind und trotz der Kälte von Rechts wegen die Bar nicht einmal betreten dürften. Nicht nur, weil die Bar von außen aussieht wie ein überwucherter Lkw-Anhänger und innen mit all den metallenen Klappstühlen und dem klebrigen Boden auch nicht viel besser ist. Es ist etwas viel Schlimmeres. Ich spüre es als Widerstand auf meiner Haut, es verdreht meinen Magen zu einem geflochtenen Knoten, aber ich komme nicht dahinter, was genau nicht stimmt.
»Iiihhh, hier stinkt’s.« Issie rümpft die Nase und schlingt die Arme um ihren Mantel, als wolle sie sich wärmen. »Wir werden nicht verhaftet, oder?«
Ich ziehe die Augenbrauen hoch, eine Geste, auf die ich das Patent habe: »Wir trinken keinen Alkohol, Issie.«
»Nein, im Ernst. Ich weiß, dass es in dieser ganzen Situation total erbärmlich ist, das zu fragen. Aber wenn wir das alles hier überleben, dann will ich aufs College und da kann ich keine Einträge in meiner Akte gebrauchen«, flüstert sie, als die Menge uns weiter in die Bar hineinspült. Ich bin so klein, dass ich nicht über die Köpfe hinwegsehen kann.
»Dann geh doch einfach, Issie«, schlägt Cassidy vor.
»Nö. Ich lass doch meine Freunde nicht im Stich«, antwortet sie in künstlich tapferem Ton.
Der fiedelnde Typ muss hier irgendwo sein, aber ich kann ihn nicht finden, weil ich nur Rücken sehe. Ich frage meine groß gewachsene Freundin: »Siehst du ihn, Cassidy?«
»Noch nicht.« Ihre Augen huschen hin und her und versuchen, möglichst alles zu erkennen. Sie ist vorsichtig, auch wenn sie sich nur umschaut. Dann hebt sie eine
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